Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Gespräch mit den Salzburger Nachrichten

»Wir haben das alle gemeinsam ganz gut über die Bühne gebracht«

Vor den Salzburger Festspielen sprach der Bundespräsident mit den Salzburger Nachrichten über Kultur und seine vielen Regierungen.

Alexander Purger: Herr Bundespräsident, mit welchen Gefühlen kommen Sie nach Salzburg?

Alexander Van der Bellen: Mit erwartungsvollen. Salzburg ist jedes Jahr ein Erlebnis. Im vergangenen Jahr wurde mit einem ausgeklügelten Covid-Sicherheitssystem ein volles Festspielprogramm geboten, ohne dass etwas passiert ist. Das war eine bemerkenswerte Leistung. Ich bin da voll Respekt für Helga Rabl-Stadler, Markus Hinterhäuser und Lukas Crepaz, die das ermöglicht haben. Vor allem freue ich mich für alle Künstler und Künstlerinnen. Es muss schrecklich für sie gewesen sein, nicht vor Publikum auftreten zu können. Es ist eine große Freude, dass das jetzt wieder möglich ist.

 

Die Nachfolge von Festspielpräsidentin Helga Rabl- Stadler steht an. Haben Sie da einen Ratschlag?

Nein, man wird sicher den oder die Beste finden. Aber es ist schade. Helga Rabl-Stadler hat das so gut gemacht über all die Jahre. Sie ist wirklich eine Ausnahmeerscheinung. Auch die Zusammenarbeit mit Markus Hinterhäuser scheint sehr gut zu funktionieren. Aber irgendwann ist halt der Zeitpunkt, an dem eine Aufgabe zu Ende ist.

 

Kommen wir zur Innenpolitik. Es war ein turbulentes erstes Halbjahr. Wie beurteilen Sie das politische Klima?

Im Großen und Ganzen finde ich: Die Institutionen vom Verfassungsgerichtshof abwärts haben gehalten. Das Parlament hat seine Aufgabe wahrgenommen – nicht immer zur Freude der Regierung. Aber dafür ist das Parlament eben auch da, um die Regierung zu kontrollieren. Untersuchungsausschüsse hat es schon öfters gegeben, die Aufregung war jedes Mal groß. Aber unterm Strich hat es, denke ich, nicht schlecht funktioniert.

 

Mit dem Umgangston im Ibiza-Ausschuss waren Sie zufrieden?

Zufrieden kann man damit nicht sein. Aber ich war zu lange Parlamentarier, um nicht zu wissen, dass immer eine oder einer über die Stränge schlägt. Aber ich nehme das nicht so ernst. Das muss man als Spitzenpolitiker aushalten, attackiert zu werden.

 

Muss man das wirklich? Die FPÖ hat Sie einmal sogar als „Mittäter“ bezeichnet.

Herr Hafenecker, wenn ich nicht irre, von der FPÖ, hat noch ganz andere Sachen behauptet, die mich eher amüsiert haben. Nein, so etwas ignoriere ich.

 

Sie sind im Fall Blümel direkt in die Vorgänge involviert worden. Waren Sie am Ende zufrieden mit den Aktenlieferungen?

Warum die Aktenlieferung so zögerlich gelaufen ist, muss der Finanzminister begründen. Letztlich hat das Ministerium geliefert. Das, was zuallerletzt vom Straflandesgericht geliefert wurde, ist zwar offenbar nicht ganz identisch mit dem, was der Minister zuvor glaubte, liefern zu müssen oder zu dürfen. Aber unter Juristen gehen die Auffassungen darüber, was richtig ist und was nicht, oft auseinander, sonst bräuchte man ja keine Gerichte, oder? Aber nachdem der Verfassungsgerichtshof angerufen wurde und dieser mich dann mit der sogenannten Exekution beauftragt hat, ist es gut gelaufen: Das von mir beauftragte Wiener Straflandesgericht hat hier ausgezeichnete Arbeit geleistet.

 

Sollte die Verfahrensordnung der Untersuchungsausschüsse geändert werden?

Das ist Sache des Parlaments. Ein bisschen unbehaglich ist mir, dass der Verfassungsgerichtshof als Schiedsrichter in Fragen angerufen wird, die an sich politisch sind. Da müsste man vielleicht mit den Kollegen im VfGH darüber diskutieren.

 

Was sagen Sie zu der Idee, dass statt dem Nationalratspräsident ein Richter den U-Ausschuss leiten soll?

Auch das ist Sache des Parlaments. Aber ein U-Ausschuss ist kein Gericht, sondern ein parlamentarisches, also politisches Gremium. Also warum ein Richter, wenn es kein Gericht ist? Aber ich halte mich da heraus.

 

Die Parteien gehen immer öfter mit Klagen und Anzeigen gegeneinander vor. Ist das eine gute Entwicklung?

Nein, das ist keine gute Entwicklung. Ich sage aber dazu, dass ich mich selbst einmal als Abgeordneter im Parlament so geärgert habe, dass ich beinahe in eine gerichtliche Auseinandersetzung geschlittert wäre. Also das kann schon einmal passieren. Aber es sollte nicht die Regel werden.

 

Dem Kanzler droht nach einer Anzeige der Neos eine Anklage. Müsste er dann Ihrer Meinung nach zurücktreten?

Es gibt ja zwei Möglichkeiten: Entweder die Staatsanwaltschaft beharrt auf ihrem Vorhaben und will vor Gericht gehen. Oder sie lässt die Anklage fallen. Das ist noch nicht ausgemacht. Und ich habe es mir zur Regel gemacht, über hypothetische Fragen nicht öffentlich zu spekulieren. Das sollen sich die Parlamentarier überlegen, wie sie im einen oder anderen Fall reagieren würden.

 

Wie lang wird die türkis-grüne Koalition Ihrer Einschätzung nach halten?

Persönlich sehe ich keinen Grund, warum die Koalition platzen sollte. Es gibt derzeit zwei große Aufgaben: die Bewältigung der Pandemie und die Bewältigung der Klimakrise. Das Zweite wird uns noch auf Jahre beschäftigen, weil wir das weltweit alle zu spät angegangen sind. An den derzeitigen Flutkatastrophen in Mitteleuropa, in Deutschland leider mit vielen Toten, sehen wir, welches Ausmaß die Klimakrise mittlerweile annimmt. Und was Regierungskoalitionen angeht: Ich habe als Bundespräsident schon eine rot-schwarze Regierung erlebt, eine türkis-blaue, dann diverse Zwischenregierungen und jetzt Türkis-Grün.

 

Und welche dieser vielen Regierungen war die beste?

Ich möchte da keine Noten verteilen. Insgesamt haben wir die Pandemie zwar nicht als Vorzugsschüler, aber doch ganz gut überstanden. Dass im Einzelfall Fehler passiert sind, wen wundert das? Es mussten ja laufend Entscheidungen in Unsicherheit getroffen werden. Dass man da einmal danebenliegen kann, liegt in der Natur der Sache. Aber insgesamt sind wir im guten europäischen Schnitt durch die Krise gekommen. Nur die Schulschließungen sollte man sich in Zukunft drei Mal überlegen, denn die Depressionsanfälligkeit bei Jugendlichen ist so stark gestiegen, wie man das nie erwartet hätte.

 

Wie stehen Sie zu der umstrittenen Frage von Abschiebungen nach Afghanistan?

Die Lage in Afghanistan war Thema bei meinem jüngsten Besuch in Brüssel. In der EU macht man sich große Sorgen, dass das Regime in Kabul dem Ansturm der Taliban nicht standhalten wird. Und dann? Ich kann mir gut vorstellen, dass dann eine Initiative von europäischer Ebene kommt, unter diesen Bedingungen nicht nach Afghanistan abzuschieben. Was uns alle vor schwierige Fragen stellen würde.

 

Eine persönliche Frage zum Schluss: Werden Sie ein zweites Mal kandidieren?

Ich weiß nicht, warum das alle so interessiert (lacht). Die Wahl ist im Oktober nächsten Jahres! Da ist noch viel Zeit. Was ich sagen kann: Es ist eine wunderbare Aufgabe, diesem Land und den Menschen in Österreich zu dienen. Natürlich freut mich jede positive Umfrage über meine Amtsführung. Aber ich sehe keine Notwendigkeit, jetzt schon über den Herbst 2022 nachzudenken. Wobei es schon interessant ist: Ich kam als Außenseiter ins Amt, ich bin der erste nicht rote oder schwarze Bundespräsident. Und habe so viele und teils sogar kumulierende Krisen auf mich zukommen sehen wie kaum jemand zuvor.

Aber alles in allem haben wir das alle gemeinsam ganz gut über die Bühne gebracht. Und die Diskussion „Brauchen wir überhaupt einen Bundespräsidenten?“ ist erledigt. In manchen Situationen braucht es ihn tatsächlich.