Podiumsdiskussion zur Zukunft Europas mit europäischen Autoren

"Eine neue Erzählung für die Zukunft Europas« – eine Podiumsdiskussion mit europäischen Autoren

Bundespräsident Alexander Van der Bellen: »Die EU braucht neues Narrativ.«

Bundespräsident Alexander Van der Bellen wünscht sich für die EU angesichts wachsender Herausforderungen ein "neues Narrativ", das "direkt ins Herz" gehe. "Die einmalige Erfolgsgeschichte der EU, die 70 Jahre Wohlstand, Freiheit und Frieden" gebracht habe, müsse den Menschen nähergebracht werden, sagte er am Montag im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Wien.

"Wir brauchen ein neues Narrativ, da alle EU-Staaten im globalen Maßstab klein sind", so Alexander Van der Bellen. Das große Problem sei, wie man auch die EU-kritischen Menschen erreichen könne. Zu diesem Thema unterhielten sich mehrere preisgekrönte Autoren aus ganz Europa.

 

Für den italienischen Schriftsteller Paolo Rumiz ist die fehlende Leidenschaft in Bezug auf die EU das Hauptproblem: "Wir hören Politiker und wir gähnen", sagte er. Es müsse stattdessen eine emotionale Narration Europas geben, die man jedem Kind erzählen könne. Er bedauerte deshalb, dass es die EU nicht geschafft habe, den Ersten Weltkrieg 100 Jahre nach seinem Ende als "gemeinsame, überstaatliche Tragödie" darzustellen.

"Europa ist mehr ein Gefühl als ein Ort. Europa ist, wo man den Menschen im Anderen erkennt", sagte der dänische Dramatiker und Schriftsteller Jens Christian Grondahl. Man müsse zwar die eigenen Werte verteidigen, die "Dämonisierung des Fremden" sei dabei jedoch "nicht hilfreich". "Hass ist der Zwilling des Nationalismus", fügte er hinzu. Die EU werde außerdem oft als Inbegriff der Globalisierung und somit als Gefahr von Außen wahrgenommen, dem vermeintlich der Nationalstaat gegenüberstehe. "Die soziale Dimension fehlt in unserem Bewusstsein der EU", sagte er.

Dies haben sich laut dem britischen Autor Jonathan Coe die Brexit-Befürworter beim Referendum 2016 zunutze gemacht. Sie hätten nicht rational argumentiert, sondern lediglich Fremdenhass geschürt und die EU als abgehobene Elite dargestellt. Das Ergebnis des Brexit-Referendums sei darum ein Ausdruck der Politikverdrossenheit in Großbritannien gewesen. "Der Brexit konnte nur wegen eines effektiven Narrativs stattfinden", so Coe. "Wir brauchen Politiker, die bessere Anführer sind und mehr auf die Menschen eingehen", unterstrich er. In Bezug auf den Brexit hoffte Van der Bellen auf einen späten Sinneswandel der Briten: "Vielleicht überlegen es sich unsere britischen Freunde ja doch noch einmal", sagte er.

"Mittlerweile entspricht der Brexit wohl nicht mehr dem Willen der meisten Briten", so Coe. Die von den EU-Gegnern verwendeten einfachen Narrative, die neben "einfachen Lösungen" mithilfe von "Sündenböcken" auch das "Narrativ des Volks gegen die Elite" anböten, werde nun auch in anderen EU-Ländern verwendet. Den Populismus kritisierte Rumiz scharf: "Sie beschuldigen die Armen, weil sie nicht den Mut haben, die echten Diebe zu verfolgen." Stattdessen sei es "das Wichtigste", die Schwachen zu schützen. "Die Demokratie entstand in Europa, viele haben das vergessen", betonte er.

Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse sieht hingegen keinerlei Notwendigkeit für ein neues europäisches Narrativ, ohne das die EU "nicht so weit gekommen" wäre. Die Entstehung eines "politischen Projektes" aus einer wirtschaftlichen "erzwungenen Solidarität", die die Menschenrechtscharta als Basis für die gemeinsame Verfassung habe, für Demokratie einstehe und die Rechtsstaatlichkeit verteidige, genüge als Narrativ. "Wem das nicht reicht, der hat ein Problem mit seiner historischen und politischen Bildung", merkte er an. Die EU habe jedoch auch einen enormen Vorteil in der globalisierten Welt, da sie "60 Jahre Erfahrung" damit habe.

"Vertraut und glaubt denen nicht, die die EU boykottieren und ihr dann die Schuld an allen Problemen geben", warnte Menasse. "Alle heutigen Probleme sind global", so der Österreicher weiter. Die Besinnung auf den Nationalstaat sei darum ein "Betrug an den Wählern". In Brüssel gebe es "tausende Lobbyisten", die die Entwicklung der EU behindern wollten, da eine geteilte EU von Konzernen "gegeneinander ausgespielt und erpresst" werden könne. Die EU habe stattdessen "riesige Steuernachzahlungen" von solchen Konzernen ermöglicht, die auf nationaler Ebene nicht möglich gewesen wären.

Für die spanische Autorin und Journalistin Marta Sanz sind die Mittel der Literatur in der heutigen Zeit begrenzt. Zwar würden die Menschen mehr lesen, als je zuvor, dies beschränke sich aber auf "Stories und Unterhaltung". Beim Tiefgreifenden fürchte man hingegen, eine andere Meinung zu haben. Literatur würde dagegen kritisches Denken stützen und fördern. "Die Kultur verliert die Beziehung zur Bildung", fuhr sie fort. "In einer Demokratie ist das Mittelmaß das Wichtigste, (...) Moral und Demokratie müssen wieder zusammenwachsen", forderte Sanz. Die Literatur müsse darum auch wieder die "toten Winkel der Gesellschaft beleuchten und erklären, dass das Persönliche das Politische ist - das Kleine spiegelt das Große wider".
 

Podiumsdiskussion zur Zukunft Europas mit europäischen Autoren und Autorinnen
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Fotos: Peter Lechner/HBF