Bundespräsident Alexander Van der Bellen eröffnete die 75. Bregenzer Festspiele/Rede

»Gefordert ist nun vor allem die Politik«

Bundespräsident Alexander Van der Bellen eröffnete die 75. Bregenzer Festspiele.

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Einen schönen guten Tag, werte Ehren- und Festgäste, meine Damen und Herren!

 

Was für ein schöner Tag das heute ist.  Endlich sehen wir uns alle wieder. Wie großartig. Lassen Sie uns gemeinsam hoffen, dass wir das Gröbste hinter uns haben. Und lassen Sie uns gemeinsam schätzen, wozu die Menschheit fähig ist, wenn Sie Eigeninteressen hintanstellt und gemeinsam, mit allem, was sie hat, an einem Strang zieht.

Es ermutigt, zu sehen, wie wir alle zusammenhalten, wenn es wirklich darauf ankommt. Das ist eine Eigenschaft, die uns noch sehr helfen wird. Es tut gut, Sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen und glauben Sie mir, es tut mir ganz persönlich auch sehr, sehr gut, wieder durch Österreich reisen zu können und persönlichen Kontakt zu den Menschen unseres schönen Landes zu haben. Denn es gibt doch einiges, was man direkt aus dem Mund der Menschen hören sollte.

Es ist zum Beispiel etwas anderes, abstrakt über das Thema Gleichberechtigung zu lesen oder direkt aus dem Mund einer jungen Mutter zu hören, dass das so nicht weitergehen kann. Mit der Doppel- und Dreifachbelastung.

An vielen Frauen hat die Pandemie wahnsinnig gezehrt.Wie schnell es geht, dass eine Gesellschaft im Krisenmodus in alte Geschlechterrollen zurückfällt! Betreuungsarbeit und Homeschooling blieben vornehmlich an den Frauen hängen. Das sollten wir nicht weiter hinnehmen.Dazu braucht es eine Änderung in den Köpfen allerund den Geldbörsen der FrauenUnd ganz konkrete Angebote für die Kinderbetreuung.

Und wenn man mit den Leuten spricht, ich muss es so deutlich wiedergeben, wie ich es gehört habe, da hört man nicht nur einmal, dass die Menschen genug haben davon, wie respektlos manche Politiker, umgehen mit den Institutionen unseres Staates. Wie im letzten Jahr mit unserer Verfassung umgegangen wurde, das war alles andere als elegant. Die Leute wenden sich mit Schaudern ab. Das muss sich ändern.

Wir brauchen wieder mehr Respekt!

Das darf so nicht weitergehen.

Was mir aber am meisten Sorge bereitet und das will was heißen angesichts der vielen brennenden Themen, was auch den Österreicherinnen und Österreichern Angst macht, ist die Klimakrise, in die wir immer tiefer hineinrutschen. Ich höre von Bäuerinnen und Bauern, deren Pflanzen vertrocknen. Deren Existenzgrundlage massiv bedroht ist. Und das ist nicht nur deren Existenzgrundlage, das ist unser aller Existenzgrundlage. Menschen sind massiv besorgt, wenn ein Tornado die Landschaft an unserer Grenze verwüstet. Ein Tornado! Mitten in Europa. Menschen fragen mich, ob wir auch in Bregenz einen Hitzeausbruch von bis zu 50 Grad haben können  wie vor kurzem in Kanada, der das üblicherweise blühende, grüne Kanada,  zutiefst schockiert hat. Und wir alle haben wohl von letzter Woche die fruchtbaren Bilder der schrecklichen Überflutungen in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg vor Augen. Mit vielen  Toten, zerstörten Häusern,  Menschen, die ihr komplettes Hab und Gut verloren haben.

 

Meine Damen und Herren,

ich würde ja gerne über was anderes sprechen,  ich weiß, Sie sind nicht hier,  weil Sie sich Sorgen machen wollen. Niemand will sich Sorgen machen. Aber wir müssen. Wir müssen uns Sorgen machen. Es ist unsere Menschenpflicht, unser Haus in Ordnung zu übergeben. Sehen Sie, ich bin in einem Alter, in dem ich eine große Zeitspanne überblicken kann. Ich bin in einem Österreich aufgewachsen, das viele Krisen überwunden hat. Oder denken Sie nur daran, wie schnell wir dank der Wissenschaft eine Impfung hatten. Daran muss ich heute denken, wenn die Zukunftsaussichten allzu pessimistisch werden. Und ich versuche alle daran zu erinnern, die in einen Fatalismus des  „da kemma eh nix mehr machen“ verfallen. 

Man kann sehr viel machen.  Wir können sehr viel machen. Sie können sehr viel machen.

Ich habe selber gesehen, dass wir Menschen das Zeug haben, mit Krisen fertig zu werden, dass wir Krisen überwinden können. Dass wir unsere Gesellschaft zu neuer Blüte führen können. Jeder und jede muss das Seinige, das Ihrige dazu betragen, dass die Welt wieder in Ordnung kommt.

Diese Wahrheit mag unbequem sein:

Wir werden unsere Lebenweise umstellen müssen, wir werden uns anpassen müssen, Nachhaltigkeit, Regionalität und Klimabewusstsein werden unser Verhalten leiten und die Jobs von morgen werden andere sein als die heutigen.

Erfreulich ist: Viele Unternehmen haben die Zeichen der Zeit erkannt, die jungen Leute von "Fridays for future" machen Druck, dass wir handeln.

Gefordert ist nun vor allem die Politik.

Sie muss jetzt die richtigen Entscheidungen treffen. Das verlangt Mut. Die Ziele sind definiert. Wir müssen vom Wollen schneller ins Tun kommen. Dann schaffen wir es! Mit Mut, Erneuerungskraft und Zuversicht, das zeichnet unser Österreich aus.

 

Meine Damen und Herren, liebe Festgäste,

ich weiß, das mag hier nicht der richtige Ort und der richtige Anlass sein, um über die Klimakrise zu sprechen. Aber auch das ist eine Wahrheit: Mittlerweile ist das Problem so drängend geworden, dass jeder Anlass der richtige Anlass ist,  um darüber zu sprechen.

 

Meine Damen und Herren!

Genießen wir trotzdem das Zusammensein heute. Genießen wir in den nächsten Wochen die Kunst. Immerhin feiern die Bregenzer Festspiele ja Geburtstag. Ein dreiviertel Jahrhundert sind sie alt - und frischer denn je.

In gewissem Sinne sind sie, kurz nach der Befreiung 1945 gegründet, DAS Festival der Zweiten Republik. Sie spiegeln das Kulturverständnis dieser Republik wieder,  das Qualität und Offenheit, Tradition und Experiment  zu einem Gesamtbild fügt. Die zurecht weltberühmte Seebühne ist zum Symbol für ein Festival der Superlative geworden.

Ich möchte daher namens der Republik wie auch persönlich herzlich gratulieren und mich von Herzen bei all jenen bedanken, die in Vergangenheit und Gegenwart dieses Kunstgenuss möglich machen. Herzlichen Glückwunsch, liebe Bregenzer Festspiele!

Und ich erkläre diese Festspiele, die uns so viel Freude bereiten, hiermit für eröffnet.

Eröffnung der 75. Bregenzer Festspiele 21. Juli 2021
Eröffnung der 75. Bregenzer Festspiele 21. Juli 2021

Fotos: Peter Lechner/HBF