Der Bundespräsident im Interview mit der Kronenzeitung

Wie lange halten wir das noch durch, Herr Bundespräsident?

Ein Jahr Lockdown: Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Interview mit der Kronen Zeitung

Herr Bundespräsident, vor einem Jahr haben Sie an dieser Stelle Besonnenheit und Disziplin eingemahnt. Beides fällt den Menschen mittlerweile sehr schwer. Haben Sie Verständnis dafür, dass viele „pandemüde“ sind?

Ja sicher, das geht mir auch so. Ein Jahr ist schon eine verdammt lange Zeit. Woran erinnert man sich im Rückblick? Eigentlich an den schönen Sommer. Da haben wir geglaubt, das Ärgste sei vorbei, um im Herbst eines Besseren belehrt zu werden. Die meisten Toten hatten wir dann Ende des letzten Jahres. Natürlich war es eine schreckliche Zeit für sehr viele von uns, vor allem für jene, die Angehörige verloren haben. Trotzdem ist nicht alles dunkel. Im Laufe eines einzigen Jahres ist es auch gelungen, mehrere Impfstoffe zu entwickeln.

Trotzdem steigt der Aggressionslevel im Land. An manchen Wochenenden demonstrieren Tausende gegen die Einschränkungen und oft auch, ohne die Corona-Regeln einzuhalten. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Wenn ich mir anschaue, wie diese Demonstrationen ausgegangen sind: Ja. Wir haben in Österreich einerseits verfassungsrechtlich abgesicherte Grund- und Freiheitsrechte. Eines davon ist die Versammlungsfreiheit. Auf der anderen Seite steht das Recht auf Gesundheit. Das heißt, wir haben einen Grundrechtskonflikt. Die Frage ist: Geben wir ein bisschen was her vom einen Recht, um das andere Recht zu wahren? Diesen Konflikt müssen wir alle aushalten, und im Ernstfall entscheidet der Verfassungsgerichtshof. Ich verstehe schon, dass manche Menschen mit dieser Gewichtung zugunsten des Rechts auf Gesundheit nicht einverstanden sind. Trotzdem müssen alle die Regeln einhalten. Wenn das nicht der Fall ist, muss die Polizei einschreiten. Ich habe tiefen Respekt vor den Polizistinnen und Polizisten, auch vor dem Polizeipräsidenten von Wien und letztlich dem Innenminister.

Soll auch der ehemalige Innenminister bestraft werden können? Herbert Kickl wurde wie Tausende andere Demonstrationsteilnehmer angezeigt.

Wenn das so ist, muss wie bei jedem anderen Abgeordneten das Parlament gefragt werden, ob es einer sogenannten Verfolgung zustimmt. Er ist jedenfalls ein Demonstrant wie jeder andere, und er hat sich genauso an die Regeln zu halten.

Österreich hat im Gegensatz zu Deutschland Lockerungsschritte gewagt. War das richtig?

Im Nachhinein sind wir immer viel gescheiter. – Lacht. – Ich möchte noch etwas zum Aggressionslevel sagen. Dieser Level ist nicht überall gleich. Ich habe vor Kurzem mit dem italienischen Präsidenten Mattarella telefoniert, der mir gesagt hat, dass das in Italien anders ist. Vielleicht deswegen, weil der Schock von Bergamo, wo wir die Leichenwagen gesehen haben, noch tief sitzt. Deshalb verstehe ich den Unmut vieler Menschen nicht ganz: Kennt nicht jede und jeder mittlerweile jemanden aus seinem Bekanntenkreis, der schwer krank geworden ist oder an Corona gestorben ist? Also ich schon.

Und die Lockerungsschritte?

Ja, zurück zu Ihrer Frage, ob die Lockerungsschritte richtig waren. Natürlich ist die 7-Tages-Inzidenz zu hoch, keine Frage. Trotzdem habe ich Verständnis für die Schritte. Den Handel und die Schulen aufzusperren war wichtig.

Die Infektionszahlen steigen, die Impfungen gehen nur schleppend voran, und viele zweifeln daran, dass zu Ostern die Gastronomie wieder öffnen könnte. Glauben Sie es?

Es wäre schön. Es ist ein Wettlauf zwischen Impfen und der britischen Virusmutante. Mit Sicherheit kann das niemand sagen, aber je schneller die Engpässe bei der Impfstofflieferung überwunden werden können, desto eher wird es möglich sein.

Sind Sie eigentlich schon geimpft?

Ich bin noch nicht geimpft. Ich habe mich aber wie jeder andere Staatsbürger angemeldet und warte, bis ich drankomme.

Ein Jahr nach dem Lockdown haben wir eine Million Menschen, die arbeitslos sind oder in Kurzarbeit, viele Unternehmen stehen vor dem Ruin. Wie lange werden wir das noch durchhalten?

Vielen Unternehmen steht das Wasser wirklich bis zum Hals. Warum steht Österreich schlechter da als Deutschland? Weil bei uns der Tourismus eine größere Rolle spielt. Tirol und Salzburg sind deshalb besonders stark von den wirtschaftlichen Auswirkungen betroffen, auch Wien in einem Teilbereich, dem Städtetourismus. Da werden wir noch eine Durststrecke bis zum Sommer haben. Dann könnte das Virus kontrolliert sein. Insgesamt wird es aber länger dauern. Ich bin zwar überzeugt, dass wir schon heuer wieder positive Wachstumsraten haben werden. Aber auf das Niveau von 2019 werden wir wahrscheinlich erst im Laufe oder gegen Ende des Jahres 2022 kommen.

Interview: Conny Bischofberger