Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen anlässlich der Eröffnung der Salzburger Festspiele

»Aufruf zum begründeten Optimismus«

Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen anlässlich der Eröffnung der Salzburger Festspiele 2023.

Meine Damen und Herren,  willkommen in Salzburg.

Die Festspiele sind ein Ereignis, auf das sich viele freuen. Ein Fixpunkt im kulturellen Leben unserer Heimat. Die Salzburger Festspiele sind auch immer wieder eine gute Möglichkeit, sich aus dem Alltag zu lösen und den Blick auf die größeren Zusammenhänge zu richten.

Wir Menschen neigen ja dazu, uns schnell über alles Mögliche aufzuregen und die schönen und die wesentlichen Dinge dabei aus den Augen zu verlieren.

Zum Beispiel unsere gemeinsame Zukunft. Ich denke, das ist eine der wichtigsten Aufgaben der Politik in unseren Tagen: Ein Bild von einer gemeinsamen Zukunft zu entwerfen, auf die man sich freuen kann. Und ein Bild von einer gemeinsamen Gesellschaft zu entwerfen, an der die Einzelnen gerne teilnehmen, weil jede und jeder das Gefühl hat: ja, das ist auch meine Gesellschaft.

In meinen vielen Gesprächen mit Menschen aller Altersgruppen begegnen mir viele Sorgen: Sorgen um die Leistbarkeit des Lebens, um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, ein funktionierendes Gesundheitssystem, den Mangel an Arbeitskräften, den Ausgleich zwischen den Generationen, die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern - zum Beispiel am Arbeitsmarkt -, Sorgen um die Migration, Sorgen um Krieg, Sorgen um die Zukunft der Menschheit im Angesicht des Klimanotstands und so weiter.

Es ist nur menschlich, dass wir da verunsichert sind. Manche reagieren angesichts der vielen Themen, die anstehen, mit Fatalismus, andere mit Verleugnung oder Verdrängung.

Vielleicht tut sich zwischen Fatalismus einerseits und Verleugnung anderseits, in der Mitte ein Weg auf. Ein Weg, der in die Zukunft führt. Ich nenne diesen Weg den Weg des begründeten Optimismus, nicht blinden Optimums.

Was stelle ich mir darunter vor:

Begründeter Optimismus behauptet nicht einfach nur naiv, dass sich das schon alles irgendwie ausgehen würde. Er ist nicht das Pfeifen im Walde, das die Angst vertreiben soll. Begründeter Optimismus bezieht sich auf ganz konkrete Fakten. Auf ganz konkrete Beispiele, die bewiesen haben, dass es geht.

Auf Menschen, ganz konkrete Menschen, die nicht nur reden, sondern machen. Die etwas ändern, die etwas schaffen.

Begründeter Optimismus nimmt sich ein Beispiel und handelt danach. Und gibt so ein Beispiel für andere.

Und ich lade Sie alle ein, Ihre Augen zu öffnen und Ihren Blick zu schärfen für die vielen guten Beispiele, die es in unserem Land gibt.

Es gab und gibt zu allen Zeiten Gründe, optimistisch zu sein. Wohlbegründet. Das offensichtlichste Beispiel dafür: Wir sind frei.

Wir leben in einer liberalen Demokratie und jeder Mensch kann im Rahmen der Menschenrechte und Menschenpflichten tun und lassen, was jeder Mensch tun oder lassen will. Jeder Mensch kann lieben, wen er will, kann sein, wer er ist.

Können wir uns kurz einmal darüber freuen, dass das so ist? Das ist nicht selbstverständlich und wir tun gut daran, die liberale Demokratie zu beschützen. Denn sie ist die Grundlage einer friedlichen Zukunft.

Aber wir Menschen können gar nicht anders, als zum Licht zu streben. Wir sind da auch nicht anders als die Pflanzen.

Eine Bedrohung unserer liberalen Demokratie ist die abnehmende Toleranz. Zu oft vermissen wir den respektvollen Umgang. Wir diskutieren kaum mehr miteinander, oft bestätigen wir uns nur in der eigenen Meinung und wenn jemand anderer Meinung ist, hören wir ihn oder sie kaum noch, weil er oder sie zu weit weg ist: Auf der anderen Seite des Grabens, der durch unsere Gesellschaft führt, schalldicht eingepackt, behütet in der Blase, in den sozialen Medien.

Wir könnten jetzt darüber lamentieren – á la Hamlet -, aber macht es Sinn, dass die Algorithmen uns ganz automatisch nur Meinungen zuspielen, die uns Recht geben und in unserer Meinung bestätigen oder anstacheln?

Das führt dann dazu, das Follower von Herbert Kickl glauben, in einer ganz anderen Welt zu leben als Follower von Werner Kogler oder von Beate Meinl-Reisinger oder von Karl Nehammer oder von Andreas Babler oder von Alexander Van der Bellen.

Wir können darüber lamentieren, oder wir können es ändern.

Wieso nicht einmal die Algorithmen verwirren, indem wir auch denen „followen“, deren Meinung vielleicht nicht so ganz unserer Meinung entspricht?

Auf diese Art bekommen wir dann auch Ausschnitte der Realität zu sehen, die wir anders nie zu Gesicht bekommen hätten. Und auf diese Art bekommen wir vielleicht auch wieder das Bild einer gemeinsamen Realität.

Als Symbol und gutes Beispiel dafür werde ich ab heute dem Instagram Account von Norbert Hofer folgen. So. Hat gar nicht wehgetan. Und Sie, Herr Hofer, falls Sie zuhören, können ruhig auch dem Account von Greta Thunberg followen zum Beispiel. Wenn Sie es nicht schon tun.

Und Sie hier im Raum: Folgen Sie einmal Fridays For Future. Oder dem Autofahrerclub. Ändern Sie die Spielregeln.

 

Bringen Sie Ihre Blase zum Platzen!

 

Reden Sie mit Leuten, die Sie nicht kennen. Die nicht zu „Ihrer Gruppe" gehören. Fragen Sie Ihren Nachbarn, was er beruflich macht. Besuchen Sie einmal die benachbarte Blase. Followen Sie den Menschen, denen Sie nicht folgen würden.

Gehen Sie ins Gasthaus, ins Theater, auf den Fußballplatz, reden Sie miteinander. Tauschen Sie Ihre Ansichten aus und hören Sie einander zu.

Lesen Sie morgen ein digitales Medium, das Sie noch nie gelesen haben.

Und nutzen Sie die 4. Gewalt im Staat. Unabhängige Medien berichten über Inhalte und Fakten. Und nicht über sich selbstverstärkende Fake-News aus den Bubbles.

Meine Damen und Herren,

vielleicht schaffen wir es dadurch, endlich wieder ein gemeinsames Bild der Wirklichkeit zu bekommen. Lassen Sie uns gemeinsam die Algorithmen verwirren und nicht mehr länger umgekehrt.

Wir müssen uns nicht mögen, um uns zu liken. Wir müssen uns auch nicht aufs Wort folgen, um uns zu „followen“.

Vielleicht kommen wir dann in einen neuen gesellschaftlichen Zustand. Einen Zustand, in dem uns eine andere Meinung nicht mehr provoziert, oder „triggert“, wie man heute sagt, sondern in dem wir diese Meinung nutzen, um dann einen gemeinsamen Standpunkt zu entwickeln.

Um einander bereichern zu können. Das Beste aus dem anderen herauszuholen und nicht das Niedrigste, um Frau Gertrude zu zitieren - 2016.

Das ist eine Zukunft, auf die ich mich freue: Eine Zukunft, in der wir das Beste aus uns herausholen.

 

Meine Damen und Herren,

ich habe es an anderer Stelle gesagt, aber mir scheint, es wurde vielleicht überhört. Deswegen möchte ich es kurz wiederholen:

Lassen Sie uns über unsere Herausforderungen als Gesellschaft reden. Lassen Sie uns das lösungsorientiert tun. Lassen Sie uns ruhig streiten. Konstruktiv streiten.

Bringen wir das Beste in uns und an Österreich zum Vorschein und nicht das Niedrigste.

 

Meine Damen und Herren,

ich freue mich auf den Tag, an dem wir wieder um die beste Lösung streiten und nicht nur aneinander vorbeireden. Ich freue mich darauf. Ich freue mich auf diese Zukunft. Ich bin optimistisch. Ich kenne unser schönes Österreich und ich weiß, was wir miteinander alles erreichen können. 

Aber zunächst einmal freue ich mich auf die Salzburger Festspiele,  die ich hiermit eröffne.

Eröffnung der Salzburger Festspiele 27. Juni 2023
Eröffnung der Salzburger Festspiele 27. Juni 2023

Fotos: Peter Lechner/HBF