Bundespräsident Alexander Van der Bellen eröffnet das 20. Elevate-Festival in Graz

Bundespräsident eröffnet das 20. Elevate-Festival in Graz

Alexander Van der Bellen warnt vor Autokraten und Rechtsextremismus.

Meine Damen und Herren,

hallo Graz!

Vielen Dank für die Einladung, schön, heute Abend hier zu sein.

Über den Platz am Rednerpult hinweg, über Ihre Sitzplätze, über das Orpheum hinweg, über Landesgrenzen, über Sprachen, über Kulturen hinweg, spannt sich ein unsichtbares Band zwischen uns Menschen. Es verbindet uns miteinander, woher wir auch kommen, welche Träume wir auch verfolgen.

Dieses Band sind unsere gemeinsamen Werte. Unsere europäischen Werte: Menschenrechte, die liberale Demokratie mit Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit, Vielfalt, Frieden. Freiheit. Ich habe mir überlegt, es wäre doch großartig, wenn man dieses unsichtbare Band sichtbar machen könnte. Nämlich mit den Worten: Was wäre, wenn?

Wir sind heute hergekommen, mit dem Zug, dem Auto, zu Fuß, mit der Straßenbahn, oder einige vielleicht per Flugzeug. Ganz unterschiedliche Menschen wollen hier miteinander diskutieren, aufeinander zugehen und voneinander lernen. Und nachher, wenn es grad passt, noch miteinander tanzen. Wissen Sie, was da für mich sichtbar wird? Freiheit. Die Freiheit, zu reisen. Die Freiheit, zu sagen, was man denkt, die Freiheit, anzuecken, ohne sich vor Konsequenzen zu fürchten. Die Freiheit, zu lernen, zu diskutieren, Kunst zu schaffen.

Solche Freiheiten – genauso wie Frieden oder das Achten der Würde des Menschen – sind für uns ganz selbstverständlich. Die meisten von uns sind mit ihnen aufgewachsen und kennen es nicht anders. Was wäre nun aber ohne unsere Freiheit? Ohne Menschenrechte? Ohne liberale Demokratie? Ohne Frieden? Was wäre, wenn wir die Festival-Musik nicht hören dürften, bestimmte Bücher nicht lesen oder bestimmte Sendungen nicht schauen dürften?

 

Was wäre, wenn Frauen hier keinen Zutritt hätten? Wenn ein kritisches Wort am Podium für uns spürbare Nachteile bringen würde? Wenn andere über uns, unsere Lieben, unsere Möglichkeiten, unsere Kleidung, unsere Freizeit, unsere Jobs, unser Leben bestimmten? Was wäre, wenn man nicht mehr lieben dürfte, wen man eben liebt. Wenn man nicht mehr sein dürfte, wer man eben ist. Dieses „Was wäre, wenn“ ist für uns unvorstellbar. Für viele Menschen auf der Welt ist es Alltag. Tägliche Normalität.

Wir müssen uns bewusst sein, dass auch für uns aus einem solchen Gedankenspiel Realität werden kann. Dass auch unser Alltag so aussehen könnte. Es ist auf unserem Kontinent, auch hier in Österreich, schon passiert. Und auch jetzt wird fest gerüttelt an unseren Werten, gerüttelt an der Europäischen Union, gerüttelt an der liberalen Demokratie – an unserem unsichtbaren Band. Vor den Toren Europas stehen Autokraten, die dabei sind, das Band zu durchtrennen, aber auch in unseren Nachbarländern hält man schon die Schere in der Hand, beschneidet die Rechte der Medien, die Rechte der Frauen, die Rechte von LGBTQIA+ Menschen. Und hier in Österreich wird an den Grundpfeilern der liberalen Demokratie gesägt.

Freiheit ist zerbrechlich. Friede ist zerbrechlich. Liberale Demokratie ist zerbrechlich. Und Menschenrechte sind zerbrechlich.

Unsere Werte werden nicht einmal und für immer erlangt. Sondern jeden Tag immer wieder aufs Neue durch das, was wir tun. Darum müssen wir dafür sorgen, dass diese Werte robust und widerstandsfähig bleiben. Und alles tun, was sie stärkt, jeden Tag immer wieder aufs Neue.

Zum Beispiel durch eine Teilnahme an der kommenden Europa-Wahl. Wir brauchen eine starke Union: Als konstruktive und wohlwollende Größe in der Weltpolitik. Als Magnet für die besten Wissenschaftlerinnen und Forscher der Welt. Als Vorbild für eine friedliche, offene, tolerante, bunte Gesellschaft. Und nicht zuletzt: Als führende Kraft beim Ausbremsen des globalen Klimanotstands.


Ein brennender Wald kennt keine Grenzen. Ein Schneesturm, eine Hitzewelle, eine Überschwemmung schaut auf keine Landkarte. Wir müssen die Klimakrise und die anderen Herausforderungen unserer Zeit solidarisch und gemeinschaftlich anpacken.

Dass wir es können, davon bin ich fest überzeugt. Wir müssen eben nur beweisen, dass wir es wollen.

2024 ist weltweit ein Superwahljahr. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wird dieses Jahr wählen und damit bestimmen, wie es weitergeht. Es liegt in unseren Händen, ob das Superwahljahr – nun ja – super wird. Ob wir die liberale Demokratie, unsere Freiheiten, unseren Frieden sehen und verteidigen wollen. Ich bin ganz sicher, Sie alle wollen das. Dann tun Sie auch etwas dafür! Einer der Gründe für den Brexit war, dass die jungen Menschen nicht wählen gegangen sind.

Meine Damen und Herren,

Sie alle sind die Kraft, die die Welt zum Guten, zum Besseren zu entwickeln kann. Sie sind die Kraft, die das unsichtbare Band stark macht.

Setzen Sie diese Kraft ein!

Vielen Dank.