Antrittsbesuch des Schweizer Bundespräsidenten Alain Berset in Österreich

Antrittsbesuch des Schweizer Bundespräsidenten in Österreich

Gespräch zwischen Alexander Van der Bellen und Alain Berset zur nachbarschaftlichen Zusammenarbeit, EU und Ukraine-Krieg.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat Kritik an der EU-Politik gegenüber der Schweiz geübt. "Ich finde es persönlich unerträglich, dass die Schweiz mit den besten Universitäten der Welt von Horizon Europe, dem Forschungsprogramm der Europäischen Union derzeit ausgeschlossen ist", sagte Alexander Van der Bellen am Freitag nach einem Treffen mit seinem Schweizer Amtskollegen Alain Berset in Wien. Dieser sprach von "Fortschritten" in den EU-Schweiz-Verhandlungen.

Die Teilnahme am milliardenschweren Forschungsprogramm Horizon Europe gilt als eines der Druckmittel Brüssels in den Verhandlungen mit Bern über den Abschluss eines Rahmenabkommens. Die Schweiz ist mit der EU über eine Reihe bilateraler Verträge verbunden und nimmt etwa am Binnenmarkt, der Personenfreizügigkeit und dem Schengenraum teil. Vor knapp zwei Jahren beendete Bern jedoch die Gespräche über ein umfassendes Abkommen aufgrund von innenpolitischen Widerständen, insbesondere im Bereich Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Bundespräsident Van der Bellen nannte den Forschungsbereich als Beispiel dafür, dass auch die EU die Schweiz brauche. Er wies darauf hin, dass 20 Schweizer Universitäten Gelder aus dem Forschungsprogramm zugesprochen bekommen hätten, die EU-Kommission die Auszahlung dann aber verweigert habe. "Österreich wird alles tun, um auf dieser Ebene das Verhältnis zwischen der EU und der Schweiz zu verbessern", versprach Alexander Van der Bellen. Alain Berset zeigte sich "erfreut", dass Österreich die Schweizer Position bezüglich Horizon Europe teile.

Der Westschweizer Sozialdemokrat zeigte sich optimistisch, was die derzeitigen Sondierungsgespräche über eine Wiederaufnahme der EU-Schweiz-Verhandlungen betrifft. "Es geht gut, es geht vorwärts", sagte er. Doch sei es wichtig, in den Verhandlungen "für beide Seiten ein gutes Resultat zu erzielen", schließlich werde es darüber in der Schweiz "sehr wahrscheinlich auch eine Volksabstimmung" geben.
 

Alain Berset hatte mit Jahreswechsel bereits zum zweiten Mal das Amt des Schweizer Bundespräsidenten übernommen, das jährlich zwischen den sieben Regierungsmitgliedern wechselt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen bezeichnete es als "schöne Tradition und bezeichnend für die engen und vertrauensvollen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern", dass auch Alain Berset zum Auftakt seiner Amtszeit nach Wien reiste.

Einigkeit demonstrierten die beiden Staatsoberhäupter, was die russische Aggression gegen die Ukraine betrifft. Van der Bellen hob hervor, dass die Schweiz die EU-Sanktionen gegen Russland mittrage, humanitäre Hilfe in der Ukraine leiste und wie Österreich zehntausende Vertriebene aufgenommen habe. "Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit, sicher nicht. Im Gegenteil", betonte Berset insbesondere die Verpflichtung der Schweiz gegenüber dem Völkerrecht, dessen Missachtung "das Hauptproblem mit diesem Krieg" sei.

Bundespräsident Berset räumte ein, dass auch in der Schweiz eine Diskussion über die künftige Sicherheitspolitik im Gange sei. Die russische Aggression sei "schon ein brutaler Schock" gewesen. Doch "der schlimmste Moment Spielregeln zu ändern, ist in Krisensituationen", sagte er auf die Frage nach Umständen, die beide Länder zu einem Abgehen von ihrer Neutralität führen könnten. Wie Alexander Van der Bellen verwies auch Alain Berset darauf, dass die Situation der beiden mitteleuropäischen Länder nicht mit jener Schwedens und Finnlands vergleichbar sei.

In Österreich gebe es derzeit "keine ernst zu nehmende breite Bewegung, die Neutralität aufzugeben", sagte Bundespräsident Van der Bellen. "Nichtsdestoweniger werden wir in Europa in den kommenden Jahren, Jahrzehnten zu diskutieren haben, wie wir uns angesichts der grundlosen Aggression als Europäer darauf vorbereiten, ob wir auf eigenen Beinen stehen können." Diesbezüglich ließ er Skepsis gegenüber der NATO durchblicken. Diese sei zwar für die europäischen NATO-Mitglieder "zentral", "aber wenn wir ehrlich sind, ist die NATO ohne die USA schwer vorzustellen".
 

Offizieller Besuch des Bundespräsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft 13. Jänner 2023
Offizieller Besuch des Bundespräsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft 13. Jänner 2023

Fotos: Carina Karlovits/HBD