Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei Gedenkveranstaltung anlässlich der Novemberpogrome in Wels

»Antisemitismus hat hier keinen Platz. Hass hat hier keinen Platz«

Rede: Bundespräsident Van der Bellen betonte in Wels die Verantwortung Österreichs.

Sehr geehrte Damen und Herren!

In diesen Tagen jähren sich die Novemberpogrome zum 85 Mal. Nazihorden fielen - von deren Führung wohlorchestriert – am 9. November und in den darauffolgenden Tagen, über jüdische Menschen und deren Geschäfte, Wohnungen und Einrichtungen her. Es wurde geplündert und gebrandschatzt. Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft wurden durch Nazis und deren Mitläufer gejagt, verhaftet, gefoltert und ermordet.

Viele, zu viele haben weggesehen oder sogar zustimmend gejohlt, als die Verbrechen begangen wurden. Es war der vorläufig gewaltigste und gewalttätigste Höhepunkt in dem Versuch, Jüdinnen und Juden aus Europa zu verjagen und zu vernichten.

Eine kleine Zahl von Jüdinnen und Juden lebte damals auch hier, in Wels. Wels hatte keine eigene Kultusgemeinde, keine Synagoge und auch keinen jüdischen Friedhof. Daher waren die Welser Jüdinnen und Juden an andere Kultusgemeinden in Oberösterreich angeschlossen.

Der wild gewordene Mob machte auch vor Wels nicht halt. Auch hier wurden Jüdinnen und Juden erniedrigt und gequält, beraubt und viele in den folgenden Jahren auch ermordet. Lassen Sie mich stellvertretend für alle Welser Jüdinnen und Juden an die drei Persönlichkeiten erinnern, deren Schicksal von Yad Vashem dokumentiert werden konnte:

Rakhel Langman, geborene Toi.Sie war eine junge Lehrerin, überlebte die Shoah und starb 1948 nur 31-jährig in Bukarest.

Max Rozenzweig, er lebte hier in der Freiheitsstraße 22 und wurde am 17. Oktober 1941 in Dachau ermordet.

Maria Miriam Wollner, geborene Deutsch, stammte ebenfalls aus Wels und wurde 1944 in der Gaskammer von Auschwitz ermordet.

 

Meine Damen und Herren,

die Republik Österreich trägt nun eine immerwährende Verantwortung. Ihre Repräsentantinnen und Repräsentanten, ihre Institutionen. Ihre Bürgerinnen und Bürger tragen eine immerwährende Verantwortung, angesichts der schrecklichen, barbarischen Taten, die auf unserem Boden an Jüdinnen und Juden verübt wurden.

Wir tragen die immerwährende Verantwortung, strikt und entschieden und aus tiefster Überzeugung gegen jede Form von Antisemitismus aufzutreten.

Antisemitismus hat hier keinen Platz. Hass hat hier keinen Platz.

Wir dürfen ihn nicht tolerieren, egal in welcher Gestalt. Egal, ob es sich um den alteingesessenen Antisemitismus handelt, der uns - auch aus dunklen Winkeln und stickigen Kellern - unseres Landes immer wieder entgegenschlägt.

Mit „alteingesessen“ meine ich einerseits den früheren, aber Jahrhunderte alten Antisemitismus christlicher Provenienz, und andererseits den rassistisch motivierten Antisemitismus jüngeren Datums, der im Grauen der Nazi-Diktatur seinen Kulminationspunkt fand.

Oder ob es sich um den islamistisch oder antiisraelisch motivierten Antisemitismus handelt, wie er jetzt mancherorts manifest wird. Äußerungen, die Israel das Existenzrecht absprechen, dürfen nicht toleriert werden.

Anschläge auf jüdische Einrichtungen dürfen nicht toleriert werden. Herabwürdigungen der israelischen Flagge dürfen nicht toleriert werden.

Jüdinnen und Juden sind ein Teil Österreichs und müssen sich hier sicher und zuhause fühlen können. 

Unsere Antwort auf Antisemitismus jeglichen Ursprungs muss hart und klar und unmissverständlich sein.

Wer in Österreich lebt, wer in Österreich leben will, kommt nicht nur in den Genuss der Menschenrechte, sondern für ihn und sie gelten auch Menschenpflichten. Es gibt Regeln und an diese muss man sich halten. Und wer glaubt, die herrschende Toleranz für Intoleranz nützen zu können, muss Konsequenzen tragen.

Wie glaubwürdig wir diese Konsequenz leben, entscheidet über die Glaubwürdigkeit unserer Republik. Zu dieser Glaubwürdigkeit gehört auch, klar zu benennen, was ist. Die Hamas ist eine Terrororganisation, deren Ziel die Auslöschung Israels ist und nichts rechtfertigt ihre Taten.  Das Pogrom des 7. Oktober 2023 war ein sadistischer, abgrundtief schrecklicher Terrorakt und kann durch nichts relativiert oder gerechtfertigt werden.

Mir wurden Videos gezeigt, die an diesem schrecklichen Tag von den Terroristen angefertigt wurden. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich konnte mir das nicht ansehen. Es war unaussprechlich ekelhaft.

Die Hamas ist keine Freiheitsbewegung. Die Hamas will keine Gerechtigkeit, sondern die Auslöschung Israels.

Wir wurden über Medien Zeugen von Verbrechen an friedfertigen Menschen, die dem Blutrausch einer Mörderbande zum Opfer fielen. Es waren Menschen jedes Alters, vom Kleinkind bis zum Greis. Die meisten der Opfer waren Jüdinnen und Juden, einige waren Holocaustüberlebende. Etwa 240 Menschen wurden verschleppt und werden nun als Geiseln, als Verhandlungspfand und Schutzschild missbraucht.

Bei Gedenkfeierlichkeiten wie dieser wird oft das „Niemals wieder“ beschworen. Die letzten Tage haben uns gezeigt, dass diese wichtige Losung heute aktueller denn je ist. Wir alle sind gefordert, sie mit Inhalt zu erfüllen. Wir dürfen nicht wegsehen, wenn Jüdinnen und Juden wieder gejagt und bestialisch ermordet werden

Wenn Österreich das „Niemals wieder“ ernst meint, muss es das zeigen. Und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt.

Vielen Dank.

Gedenkveranstaltung zum Novemberpogrom in Wels 6. November 2023
Gedenkveranstaltung zum Novemberpogrom in Wels 6. November 2023

Fotos: Peter Lechner/HBF