»Kunst soll also nur eines: Sie soll möglich sein, und sie soll frei sein«

Bundespräsident Alexander Van der Bellen eröffnet die der Bregenzer Festspiele mit einem Aufruf zur Kunst- und Medienfreiheit.

Nach so großartigen Einblicken in die Performances, in die Vorführungen und nicht zuletzt wegen meiner Begleitung (Anm.: ein Puppe mit dem Gesicht des Dirigenten Karl Böhm) vorhin, ist man stark in Versuchung, einfach zu sagen: „Ich erkläre die Festspiele für eröffnet!“

Geht aber nicht. Wenn ich dann mehr Routine habe ... Nächstes Jahr vielleicht.

 

Sehr geehrte Damen und Herren aus Politik, Religion und Gesellschaft!
Geschätzte Gäste aus dem In- und Ausland!
Exzellenzen!
Verehrte Ehren- und Festgäste!

Ich freue mich, wieder in Vorarlberg zu sein. Schon wieder in Vorarlberg zu sein. Es ist erst ein paar Wochen her, da waren wir in Feldkirch und im Großen Walsertal. Dort bin ich ein Risiko eingegangen – im Großen Walsertal. Ich habe mir gedacht, ich probier´s. Ich liebe nämlich diese regionalen, lokalen Färbungen der deutschen Sprache. Ja. Wirklich.

Und da habe ich gesagt – auf gut tirolerisch, so ungefähr: „Redet´s lei wie enk da Schnobl gwoxn isch, i versteh enk schoa!“

Ich weiß nicht, ob Sie es verstanden haben, aber ich war dann eigentlich froh, alles zu verstehen. Bin mir aber bewusst, das war erst der Anfang. Lustenauerisch muss ich noch üben.

Die Vorarlbergerinnen und Vorarlberger sind – behaupte ich einmal – ein sehr eigenständiges Volk, unabhängig, selbstbewusst, freiheitsliebend – in manchen Aspekten konservativ, in anderen wieder sehr modern und aufgeschlossen.

Heute möchte ich den Aspekt der Freiheit herausgreifen:

Also, zunächst möchte ich dem Bundesland Vorarlberg gratulieren zum 100. Jahrestag seiner Unabhängigkeit, seiner Eigenständigkeit als Bundesland.

Bis 1918 war nämlich war Vorarlberg „unterdrückt“ von Innsbruck, also in administrativer Hinsicht eine Einheit mit Tirol – von Innsbruck aus verwaltet. Das kann den Vorarlbergerinnen und Vorarberger nicht Recht gewesen sein. Ich bin ja obendrein ein Unverdächtiger.  Meine besten Glückwünsche zu diesem Schritt, der Loslösung von Innsbruck. Unverdächtig deshalb, weil ich selber ein gebürtiger Tiroler bin.

Um die Zeit herum, also vor 100 Jahren, stand man hier vor der Frage, mit wem denn weiter den Weg in die Zukunft gehen? Mit denen im Osten, also mit der neu entstandenen Republik Österreich, oder mit denen im Westen, mit der Schweiz?

Und die Mehrheit, das sagen uns einschlägige Dokumente, die Mehrheit zog es eher in den Westen, in die Schweiz. Aber daraus ist dann nichts geworden und Vorarlberg blieb  gemeinsam mit sieben anderen Bundesländern in der Republik Deutsch-Österreich – wie sie damals genannt wurde. Nur sieben Bundesländer, weil das Burgenland kam ja erst später dazu.

Die damaligen Ereignisse – wie wir wissen – waren eine Folge, eine Konsequenz der Auflösung der Monarchie, des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn. Die wirtschaftliche Lage war damals katastrophal. Viele Menschen konnten sich nicht vorstellen, dass dieses Restösterreich, dieses kleine Österreich oder Deutsch-Österreich, wie es genannt wurde, überlebensfähig sein könnte. Und der Zusammenschluss mit einer anderen Nation – im Falle Vorarlbergs mit der Schweiz, in anderen Fällen in der Regel mit Deutschland – das war nicht neu, das war keine spezifische Idee Vorarlbergs, sondern diese Zusammenschlusssehnsüchte gab es in allen Bundesländern.

Wohin das geführt hat, ist uns allen bekannt. 20 Jahre später, 1938, war das Wirklichkeit. Schreckliche Wirklichkeit.

Mit diesem sogenannten „Anschluss“ wurden auch die letzten Grund- und Freiheitsrechte, die es noch gegeben hat, beseitigt. Freiheitsrechte, die ja schon ab 1934 in der Dollfuß/Schuschnigg-Ära drastisch beschnitten worden waren.

Eine Frage, die man sich hin und wieder stellen könnte ist: War Österreich noch frei zu jenem Zeitpunkt, 1938, sich für oder gegen den „Anschluss“ zu entscheiden? Schuschnigg hatte bekanntlich in letzter Sekunde versucht, das Steuer noch herumzureißen. Aber es war zu spät. Es war viel zu spät. Und nicht zuletzt finde ich diesen Aspekt interessant: Es ist nicht jede Entscheidung reversibel. In der Politik schon gar nicht. Eine Symphonie, eine Oper kann ich umschreiben, wenn ich selber der Komponist war, sonst natürlich nicht.

Karl Böhm.

Es ist unvermeidlich, lieber Herr Blümel, dass wir uns ein bisschen überschneiden. Wir haben uns wie üblich nicht abgesprochen.

Karl Böhm, der großartige Dirigent und Musiker ersten Ranges, der gefeierte Mozart- und Wagnerinterpret, aber auch ein williger Diener des Nationalsozialismus. Er hat sich schon früh in den 30-Jahren für den sogenannten „Anschluss“ an Deutschland begeistert und steht in diesen Tagen im Zentrum einer Premiere der diesjährigen Bregenzer Festspiele.

Wir sind inzwischen liberaler als noch vor einigen Jahren: Paulus Hochgatterer und Nikolaus Habjan gehen dieser ambivalenten Figur, Persönlichkeit nach. Und man hätte ja fragen können: „Dürfen’s denn das überhaupt? Dürfen sie diese Lichtgestalt von ihrem Sockel stoßen, quasi?“

Also vor ungefähr 30 Jahren wurde das Stück „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard im Wiener Burgtheater aufgeführt, und ich erinnere mich gut, dass damals viele, auch aus der Politik, gemeint haben: „Nein, das dürfen die nicht!“ Und bewusst oder unbewusst stellten sie die Freiheit der Kunst in Frage.

Heute ist das nicht mehr so, zumindest nicht in Österreich, ist mein Eindruck, dass man eine Debatte über „Was darf Kunst?“ führt, und wer entscheidet dann, was Kunst darf oder nicht darf? Es ist nicht leicht, so eine Debatte heutzutage zu entfesseln, aber Sie, Herr Blümel, haben ein Beispiel genannt, die heurige deutsche Echo-Preisverleihung. Das war ein interessanter Fall – ich möchte so eine Frage nicht entscheiden müssen.

Aber eine Frage ist immer noch relevant und das ist die Frage: „Was soll Kunst?“ Ich erinnere mich vage aus der Schulzeit, dass Friedrich Schiller Theater als „moralische Anstalt“ definiert hat. Schon das Wort „Anstalt“ ist mir ein Gräuel, aber das ist meine persönliche Ansicht. Die Schule wurde bei uns als „Anstalt“ bezeichnet. Heute ist das hoffentlich anders.

In der einstigen Sowjetunion war die vorgeschriebene Kunstrichtung der „Sozialistische Realismus“, was immer man darunter verstehen mag. Das ist das Gegenteil von Freiheit der Kunst, und ich meine in einer liberalen Demokratie wie der unsrigen sollte gelten: „Kunst soll gar nichts“. Sie kann einmal unterhaltend sein, kann ein Freizeitvergnügen sein - vorhin diese Figur auf der Bühne meinte „Kunst ist immer schwer und traurig“ – eh auch – sie kann kritisch sein, behübschend, sie kann alles sein, „moralische Anstalt“ sogar, aber sie soll es nicht sollen.

Und natürlich freue ich mich, wenn sich Künstlerinnen, Künstler und Intellektuelle hin und wieder kritisch zu Wort melden. Manchmal vermisse ich das auch, sage ich Ihnen offen, wenn sie es nicht tun. Aber sie müssen es nicht müssen. Wenn sie nicht wollen, dann tun sie es eben nicht. Ich bin der Letzte, der sie dazu zwingen wollen würde.

Kunst soll also nur eines: Sie soll möglich sein, und sie soll frei sein. Und dafür sind wir mitverantwortlich, dass es so ist. Die Gesellschaft muss es aushalten, dass Kunst frei ist. Wir, nicht nur die Politikerinnen und Politiker, sondern wir, Sie alle, die Sie hier sitzen, das Publikum, die Gesellschaft schlechthin muss es aushalten, dass die Kunst frei ist.

Nicht um der Kunst alleine willen, sondern weil man eine liberale, offene Gesellschaft daran messen kann, was sie ermöglicht. Was sie möglich macht. Und nicht was sie womöglich verhindert.

Und daher steht seit 1982 die Freiheit der Kunst in Österreich im Verfassungsrang.

Im Verfassungsrang steht auch die Meinungs- und Pressefreiheit. Die ist nicht ganz so unumstritten. In unserer liberalen Demokratie braucht es aber Journalistinnen und Journalisten, die z.B. dem Wahrheitsgehalt von Gerüchten nachgehen. „Stichhaltige Gerüchte“ gibt es nicht, behaupte ich.

Journalistinnen und Journalisten gehen solchen Sachen nach mit gut recherchierten Geschichten, mit anspruchsvollen Kommentaren, mit der Beschreibung großer Zusammenhänge – und wir brauchen das. Mit wir meine ich die liberale Demokratie. Wir brauchen Journalistinnen und Journalisten, die eine Kontrollfunktion wahrnehmen, hinterfragen, kritisieren, Ungereimtheiten aufdecken – you name it.

Die Regierung zu loben, ist ganz bestimmt nicht die Aufgabe Journalistinnen und Journalisten. Schon gar nicht den Bundespräsidenten hochzujubeln. Wenn’s passiert, ok.

Und es sollte uns bewusst sein, dass das in unseren liberalen, westlichen Gesellschaften ein Privileg ist. In den meisten anderen Ländern der Welt ist es eben genau nicht so.

Also zusammenfassend:

Die Freiheit der Kunst, die Presse- und Medienfreiheit, die Grund- und Freiheitsrechte von jedem einzelnen von uns, sind global gesehen seltene Güter, rare Güter. Und national gesehen noch nicht gar so alt. Sie sind relativ jung historisch gesehen.

Also achten wir darauf, dass es so bleibt.

Und abschließend: Heute Abend werden wir die Oper „Beatrice Cenci“ sehen und hören. Diese Oper thematisiert auch Freiheit, allerdings ihr Gegenteil: Unfreiheit und Knechtschaft. Beatrice weiß schlussendlich nur einen Ausweg, eine Verzweiflungstat, durch die sie - wenn ich es richtig sehe - für einen kleinen, kurzen Augenblick sich befreien kann. Ich bin schon sehr gespannt.

 

Meine Damen und Herren,

ich wünsche den Bregenzer Festspielen jeden erdenklichen Erfolg für die kommenden Wochen, und meine schöne Aufgabe ist es, sie hiermit feierlich zu eröffnen.