Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Interview mit der Kronenzeitung

»Diese Einschränkungen und Beschränkungen des Alltagslebens haben einen guten Grund. Bitte haltet euch daran!«

Mit der »Krone« spricht Bundespräsident Alexander Van der Bellen über eine nie da gewesene Bedrohung und das Krisenmanagement der türkis-grünen Regierung.

 

Wie stehen wir das durch, Herr Bundespräsident?

Interviews in Zeiten der Pandemie: Kein Händeschütteln, Abstand halten!

Herr Bundespräsident, hätten Sie sich gedacht, dass während Ihrer doch sehr ereignisreichen Amtszeit noch etwas Schlimmeres als die Ibiza-Affäre samt den Folgen passieren könnte?

Es war wirklich enorm ereignisreich, und wir sind erst am Beginn der zweiten Halbzeit. Im Gefolge der Ibiza-Krise sind sehr viele Dinge das erste Mal in der Zweiten Republik passiert. Eine Pandemie gab es überhaupt noch nie, das ist in der Form neu. Die Regierung hat weitere Restriktionen bekannt gegeben. Dass Wirtshäuser und Hotels schließen und die Bevölkerung zu Hause bleiben soll, schürt auch bei vielen Menschen Angst.

Können Sie das nachvollziehen?

Natürlich. Aber ich glaube, die Angst wird weniger, wenn man sich die Gründe für die Restriktionen vor Augen führt. Wir haben jetzt seit Wochen eine Entwicklung, wo die Corona-Ansteckungen nach wie vor deutlich zunehmen, und zwar relativ rasch im internationalen Vergleich.

Deshalb müssen wir alles tun, um diese Entwicklung zu verlangsamen.

Warum ist das wichtig?

Wir versuchen zu vermeiden, dass die Krankenhäuser überlastet sind. Der normale Betrieb muss ja bis zu einem gewissen Grad weitergehen. Und noch haben wir die Grippewelle. Wenn dann zusätzlich schwerkranke Coronavirus-Patienten dazukommen, könnte das unser System an die Grenzen führen. In der Lombardei ist das passiert. Insofern werden all diese Maßnahmen aus Rücksicht auf die Verletzlichsten in der Gesellschaft getroffen, also geschieht das nicht aus Jux und Tollerei. Sondern die Bundesregierung versucht, die Ausdehnung des Virus zu verlangsamen. Verhindern kann man sie leider nicht, das wäre Wunschdenken.

Die große Angst ist, dass es zu einem totalen Stillstand kommen wird. Berechtigt?

Genau wissen wir nicht, wie die Krankheit verlaufen wird. Der Umgang mit dieser Unsicherheit ist sehr schwierig. Für Sie, für mich, für die Bevölkerung, schwierig auch für die Regierung und all jene, die jetzt Entscheidungen zu treffen haben. Deswegen ist es so wichtig, immer wieder daran zu erinnern: „Leute, das passiert nicht willkürlich, diese Einschränkungen und Beschränkungen des Alltagslebens haben einen guten Grund. Bitte haltet euch daran!“

Die Krisenkommunikation dieser Bundesregierung wirkt souverän, transparent und abgestimmt. Sind Sie als Staatsoberhaupt in diese Vorgangsweise eingebunden?

Ich stehe in regelmäßigem Kontakt mit Mitgliedern der Bundesregierung und des Krisenstabes, heute zum Beispiel habe ich mit dem Bundeskanzler und dem Gesundheitsminister telefoniert. Ich finde es beeindruckend, wie die drei Hauptzuständigen – Bundeskanzler, Innen- und Gesundheitsminister – hier zusammenarbeiten und kooperieren.

Das oberste Gebot heißt jetzt: Soziale Kontakte auf die Kernfamilie und darüber hinaus auf das Notwendigste zu reduzieren. Ist die Gefahr nicht sehr groß, dass sich jetzt alle zu Hause einigeln und nicht mehr auf die anderen schauen?

Ja, da haben Sie recht, die Isolation birgt immer das Risiko, nicht mehr auf die Nachbarn zu achten. Da müssen wir eine Balance finden. Distanz zu wahren, keine Hände mehr zu schütteln heißt nämlich nicht, den Kontakt abzubrechen. Kontakt halten kann man auch telefonisch, per Mail, über die sozialen Medien. Da haben wir jetzt ganz andere Möglichkeiten als noch vor 20, 30 Jahren.

Die Auswirkungen dieser Krise sind noch unabsehbar. Wird in den Spitälern nicht letztlich die Situation eintreten, wo Ärzte entscheiden müssen, wer jetzt den Sauerstoff bekommt? Der 70-Jährige oder der 60-Jährige? Führt uns das an ethische Grenzen in der Medizin?

In der Lombardei sind solche Situationen bereits eingetreten. In Österreich wollen wir genau das vermeiden, und um das zu vermeiden – ich muss es noch einmal wiederholen – sind all diese drastischen Maßnahmen notwendig.

Wie stehen wir das durch?

Mit Besonnenheit und Disziplin. Indem wir aufeinander schauen. Ganz wichtig ist es, dass die Bevölkerung mithilft, dass wir die Hygieneregeln beachten, die persönlichen Kontakte auf ein Minimum reduzieren und besonders die ältere Generation schützen.

Wenn Sie an das Ende Ihrer Amtszeit 2022 denken, wird diese Pandemie unsere Gesellschaft verändert haben?

Ja. Wir werden wieder etwas dazugelernt haben.

Wir werden sehen, wo wir auch Fehler gemacht haben, das ist unvermeidlich in solchen Krisen, aber genau das ist eben auch eine Chance zu lernen. Der Mensch ist sehr anpassungsfähig, auch das wird sich zeigen. Wir werden rückblickend auch über das Virus selber mehr wissen. Die ganze Welt forscht derzeit an Ursachen und Therapien. Und – last, but not least – werden wir sehen, wie wir ökonomisch damit umgegangen sind.

Wird unsere Wirtschaft das überleben?

Es sind wirklich alle Bereiche der Wirtschaft betroffen, besonders akut aber der Dienstleistungssektor. Wie zahlen die Betriebe das Gehalt der Angestellten, wie kommen sie ohne Einkommen durch? Da stellen sich Hunderte Fragen, die zu regeln sind. Dass die Regierung und das Parlament beschlossen haben, vier Milliarden zur Bewältigung der Coronakrise zur Verfügung zu stellen, ist sehr hilfreich.