Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst an Timothy Snyder

»Ihrem Lob für das österreichische Gesundheitssystem kann ich nur beipflichten.«

Rede Von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zur Überreichung des Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst an Timothy Snyder

Sehr geehrter Herr Professor Snyder!

Meine Damen und Herren!

Es ist mir eine große Freude, Sie und Ihre Familie hier in der Hofburg willkommen zu heißen.

Wir hatten erst vor ziemlich genau zwei Monaten Gelegenheit zu einem Gedankenaustausch, und wenn ich sage, dass ich dankbar bin, Sie erneut zu treffen, dann meine ich dies sehr aufrichtig.

Es gibt im Leben eines Politikers, wie beim Eiskunstlauf, die Pflicht und die Kür. Ein Gespräch mit Ihnen gehört eindeutig zur Kür.

Der konkrete Anlass, weswegen wir heute hier zusammenkommen, ist, dass ich Ihnen das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst persönlich überreichen möchte.

Es ist dies eine Auszeichnung, die von der Republik eigens für Leistungen in Wissenschaft und Kunst geschaffen wurde. Diese Auszeichnung betont den Stellenwert, den Wissenschaft und Kunst in unserem Land genießen.

Warum und wofür aber ehrt die Republik Österreich Sie nun genau?

Da ist zum einen der weltweit anerkannte und geschätzte Historiker, dem es bei der Behandlung seiner Themen gelingt, einen neuen,noch nicht dagewesenen Blick auf zeithistorische Ereignisse zu werfen.

Und der diesen Blick über das historische Betrachten hinaus auf die Gegenwart erweitert.

Selten nur gelingt es jemandem so wie Ihnen, Zeitgeschichte mit Zeitdiagnostik zu verbinden.

Dass man die Gegenwart nur durch die Kenntnis der Vergangenheit verstehen kann – dieser häufig getätigte Ausspruch wird in Ihren Büchern nachzulesende und anschauliche Wirklichkeit.

Da ist zweitens Ihre engagierte Zeitgenossenschaft, die für Universitätsprofessoren eher ungewöhnlich ist.

In Ihrem „Manifest „Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand“ erweisen Sie sich als jemand, dem es ein Herzensanliegen ist, anderen Menschen einen Werkzeugkoffer für das Leben in Freiheit an die Hand zu geben.

Der– weniger reißerische – amerikanische Untertitel Ihres Buches lautet: „Twenty lessons from the twentieth century“.

Damit ist Ihr Anliegen als Historiker in meinen Augen klar umrissen: Aus der Geschichte zu lernen; und entsprechend zu handeln.

Sie haben mit diesem Buch nicht nur einen internationalen Bestseller gelandet, sondern vielen tausenden Leserinnen und Lesern ein liberales Brevier für die Gegenwart geschenkt.

Ja, und dann ist da noch der Forscher und Vortragende Timothy Snyder, der Österreich so sehr verbunden ist.

Ihre Beziehung zu unserem Land Reicht weit über das Berufliche hinaus. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist Ihr Sohn in Wien zur Welt gekommen – und das, wenn ich Ihre diesbezüglichen Zeilen richtig interpretiere in dem Buch „Der Weg in die Unfreiheit“, ganz und gar nicht zufällig.

Und Ihrem Lob für das österreichische Gesundheitssystem kann ich nur beipflichten.

Als Permanent Fellow am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen und als Vortragender am Kreisky Forum für Internationalen Dialog, als Redner bei den Wiener Vorlesungen – überall wird deutlich, dass Österreich ein ganz wesentlicher Ort für Ihr Wirken und Leben ist.

Und als letzten Punkt möchte ich noch etwas Persönliches anführen: Ich bin ein begeisterter Leser der New York Review of Books.

Die darin abgedruckten Rezensionen sind manchmal besser geschrieben als die Bücher, denen sie gelten.

Immer aber sind sie von hoher wissenschaftlicher und stilistischer Qualität. Diese Eigenschaft des Magazins wird durch Autoren wie Sie, Herr Snyder,gewährleistet.

Es scheint mir aufgrund des Gesagten daher nur folgerichtig, dass ich Ihnen nunmehr das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst überreichen kann.

Es gilt dem Zeitgeschichtler und Zeitdiagnostiker, dem engagierten Zeitgenossen, dem Forscher und Rezensenten Timothy Snyder ebenso wie dem Schriftsteller, also Künstler Timothy Snyder.

Herzlichen Glückwunsch!