Bundespräsident Alexander Van der Bellen appelliert beim Fest an die Sicherung von Demokratie und Frieden.

»Friede und Freiheit muss erkämpft, gehütet und bewahrt werden«

Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen anlässlich des Fests der Freude am Heldenplatz.

Geschätzte Festgäste!

Meine Damen und Herren!

 

Ich begrüße Sie herzlich. Es freut mich, dass so viele den Weg hierher auf den Heldenplatz gefunden haben.

Nach zwei Jahren Pandemie ist es nun endlich wieder möglich, persönlich zum Fest der Freude zusammenzukommen - als Menschen unter Menschen. Auch das ist ein Grund zur Freude.

 

Wir feiern heute das Ende der Naziherrschaft in Österreich. Vor 77 Jahren hat Nazideutschland seine bedingungslose Kapitulation erklärt, der Zweite Weltkrieg in Europa war endlich zu Ende.

Das alles ist fast ein Menschenleben her. Nur wenige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sind noch unter uns, die jenen 8. Mai 1945 bewusst erlebt haben. Und noch weniger, die den so genannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 und die darauffolgenden Jahre ded Naziterrors noch in selbsterlebter Erinnerung haben.

 

Was also bedeutet dieser Jahrestag  für alle so genannten Nachgeborenen? Was für die jungen Generationen, für die jene Zeit ein Kapitel in den Geschichtsbüchern ist?

Die meisten Menschen, die hier in Österreich nach dem Krieg zur Welt gekommen sind, wurden hineingeboren in eine Freiheit und einen Frieden, die immer selbstverständlich schienen.

Wir neigen dazu zu vergessen, dass Freiheit und Frieden erkämpft, gehütet und bewahrt werden müssen.

Daher ist dies auch ein Fest der Dankbarkeit. Wir danken allen, die damals den Grundstein dafür gelegt haben, dass wir in Österreich seit Jahrzehnten in diesem Frieden leben können.

Wir danken den Alliierten, die gemeinsam Hitler entgegengetreten sind, und wir danken den Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern, von denen viele für ihren Mut einen hohen Preis bezahlt haben.

Vor wenigen Tagen erst, am 5. Mai, dem Jahrestag der Befreiung des KZ Mauthausen, haben wir den "Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus" begangen – im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.

Trauer und Freude liegen oft sehr nah beieinander. Und auch in die Freude dieses Festes mischt sich ein Gefühl der Trauer. Denn während wir hier stehenund den damals errungenen Frieden feiern, herrscht anderswo in Europa wieder Krieg. Nicht weit weg: Von Wien zur ukrainischen Grenze rund 600 km. das ist weniger als nach Bregenz.

Die Menschen in der Ukraine – Männer, Frauen, Kinder – erleben seit dem 24. Februar kaum vorstellbare Grausamkeit und alptraumhaften Schrecken. Hier ist es unser aller Menschenpflicht, die Augen nicht zu verschließen, sondern zu helfen: Zu helfen heißt etwa,  den nach Österreich vor dem Krieg Geflüchteten eine Unterkunft zu geben, ihnen Arbeit zu verschaffen und die Kinder zu unterrichten. Was auch geschieht.

Und dafür bedanke ich mit ausdrücklich bei allen!

 

Meine Damen und Herren!

Wenn Freiheit und Frieden bedroht sind, braucht es Entschlossenheit und Mut, braucht es Widerstand. "Politischer Widerstand" ist der thematische Schwerpunkt, unter dem das diesjährige Fest der Freude steht.

Politischer Widerstand war nicht nur zur Zeit des Nationalsozialismus wichtig. Politischer Widerstand muss überall dort ansetzen, wo damit begonnen wird, Freiheit und liberale Demokratien zu unterminieren, zu missbrauchen und zu schwächen. Es heißt nicht umsonst

Wehret den Anfängen.

 

Diese Worte müssen wir ernstnehmen und sie heute leben. Es ist ein klarer Auftrag an uns alle und besonders an die Politikerinnen und Politiker: Wir sind verantwortlich, den so schwer errungenen Frieden zu schützen und zu bewahren, oder auch wiederherzustellen, und das gemeinsame europäische Wohl vor alle individuellen nationalen Interessen zu stellen.

Das ist etwas, das wir hoffentlich aus der Geschichte des Nationalsozialismus gelernt haben.

 

Meine Damen und Herren!

Eine Zeitzeugin, Erika Freeman, ist heute hier, sie wird gleich zu uns sprechen.

 

Sehr geehrte, liebe Frau Freeman!

Ich darf Sie herzlich begrüßen, und ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie aus New York nach Wien gekommen sind und dieses Fest mit uns gemeinsam feiern.

Das Österreich, in das Sie kommen, ist ein anderes als das, aus dem Sie damals als Kind vertrieben wurden.

Auch wenn es lange gedauert hat, die Verantwortung für die NS-Vergangenheit anzunehmen: Österreich ist heute ein Land, das die damals Vertriebenen und ihre Nachkommen willkommen heißt.

So ist seit fast zwei Jahren eine Novelle des Staatsbürgerschaftsgesetzes in Kraft, die den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft für Opfer des Nationalsozialismus und deren Nachkommen erleichtert und dazu beiträgt,  zerrissene Bande neu zu knüpfen.

 

Meine Damen und Herren!

Heute vor 77 Jahren wurde das Fundament gelegt für viele Jahrzehnte Frieden und Demokratie in Österreich.

Nehmen wir das Fest der Freude als Erinnerung und Auftrag, diesen Frieden und damit verbundene grundlegende Werte wie Menschenwürde und Solidarität  bewusst wertzuschätzen und zu stärken. Jede und jeder Einzelne kann etwas dazu beitragen.

In diesem Sinne wünsche ich  uns allen einen schönen Abend.

Fest der Freude 8. Mai 2022
Fest der Freude 8. Mai 2022

Fotos: Peter Lechner/HBF