»Es gibt viel an positiver Zusammenarbeit in der gegenwärtigen Welt«

Die Ansprache von Bundespräsident Alexander Van der Bellen anlässlich des Neujahrsempfanges für das Diplomatische Corps in der Wiener Hofburg.

Hochwürdigster Herr Apostolischer Nuntius,
sehr geehrte Frau Bundesministerin Kneissl,
Exzellenzen, meine Damen und Herren!

Ich freue mich, das Diplomatische Corps heute wieder zum Neujahrsempfang in der Hofburg begrüßen zu dürfen.

Dem hochwürdigsten Herrn Apostolischen Nuntius danke ich für seine guten Wünsche als Doyen des Diplomatischen Corps und erwidere sie aufrichtig.

Bevor ich einige Prioritäten der österreichischen Außenpolitik für 2018 skizziere, möchte ich eines betonen:

Es gibt viel an positiver Zusammenarbeit in der gegenwärtigen Welt. Es gibt aber nach wie vor auch viele Kriege und Konflikte. Meine tiefe Überzeugung ist, dass wir diese nur im Dialog, mit dem gegenseitigen Willen zur Gesprächsbereitschaft und durch multilaterale Zusammenarbeit werden lösen können.

In diesem Sinne werde ich im heurigen Jahr einen Schwerpunkt auf die Außenpolitik legen, nachdem das vergangene Jahr aufgrund der Neuwahlen stärker innenpolitisch geprägt war. Dennoch habe ich in meinem ersten Jahr als Bundespräsident besonders den Dialog mit unseren Nachbarn gesucht und habe fast alle Amtskolleginnen und -Kollegen in Österreichs Nachbarländern besucht. Kommende Woche habe ich noch die Ehre, das Fürstentum Liechtenstein besuchen zu dürfen.

Gute Nachbarschaft ist ganz zentral für das Zusammenleben im großen europäischen Haus.

In diesem Sinn kann Österreich auch auf einen erfolgreichen Vorsitz in der OSZE zurückschauen. Höhepunkt war der Ministerrat in Wien im Dezember, an dem rund vierzig Außenministerinnen und Außenminister teilnahmen.

Das Engagement für die Länder des Westbalkan hat in der österreichischen Außenpolitik und speziell während der bevorstehenden österreichischen EU-Präsidentschaft weiterhin hohen Stellenwert.

2018 ist ein wichtiges Jahr für die Region: Im ersten Halbjahr erwarten wir eine neue EU-Strategie für den Westbalkanraum und den EU-Westbalkangipfel in Sofia. 

Es ist wichtig, dass die Erweiterungsperspektive für die Westbalkanstaaten konkret und politisch erreichbar bleibt. Diese Perspektive ist Zeichen einer aktiven europäischen Friedenspolitik und wichtiger Motor für Reformen in der Region. Österreich versteht sich in diesen Bemühungen – bilateral und in der EU – als aktiver Partner der Westbalkanländer. Was die Ostukraine betrifft, so erinnern uns die Toten und Verletzten auf beiden Seiten sowie die täglichen Waffenstillstandsverletzungen an den fehlenden politischen Willen zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen.

Dieser Konflikt ist eine offene Wunde mitten in Europa. 

Eine nachhaltige und dauerhafte Lösung des Konflikts in und um die Ukraine kann nur durch den Willen zum Frieden und ernsthafte Anstrengungen aller Seiten erreicht werden. Dazu braucht es mehr Dialog, um Vertrauen zwischen den Seiten aufzubauen.

Im Nahen Osten steht die Staatengemeinschaft weiterhin vor der Herausforderung, politische Lösungen für jahre- und jahrzehntelange Konflikte zu suchen. Im israelisch-palästinensischen Konflikt liegen die Lösungsvorschläge seit Jahren auf dem Tisch. Was fehlt, ist der politische Wille zur Umsetzung.

Eine verhandelte Friedenslösung würde einen entscheidenden Beitrag zu Stabilität in der Region leisten. Auch die Frage des Status von Jerusalem kann nur durch Verhandlungen gelöst werden.

Im syrischen Bürgerkrieg fehlt weiterhin ein überzeugendes Bekenntnis aller Bürgerkriegsparteien zu einer verhandelten politischen Lösung.

Die umfassende Umsetzung der Wiener Nuklearvereinbarung durch den Iran und alle Vertragsparteien ist essentiell. Was die aktuellen Entwicklungen im Iran betrifft, bin ich davon überzeugt, dass auch hier der Schlüssel zu einer Lösung im Dialog liegt.

Die Entwicklungen der vergangenen Jahre haben uns vergegenwärtigt, wie eng Afrika und Europa verbunden sind. Europa muss und wird seine Partnerschaft mit den afrikanischen Ländern stärken und ausbauen.

Jüngste Initiativen wie der EU-Treuhandfonds für Afrika beweisen das. Österreich ist im Rahmen dieses Fonds bereits der achtgrößte Geber. Auch wirtschaftlich spielt der afrikanische Kontinent für österreichische Unternehmen eine wachsende Rolle. Österreich wird sich an der Ausgestaltung der Partnerschaft zwischen Afrika und Europa - auf Augenhöhe -weiterhin aktiv beteiligen. 

Asien: Österreich ist erfreut, dass ein weiterer asiatischer Staat, Nepal, in Österreich eine Botschaft eröffnet hat.

Ich muss nicht eigens betonen, wie wichtig die Gestaltung der Beziehungen auch zu dieser vielfältigen und dynamischen Region für Europa und damit auch für Österreich ist.

Aber wir sind auch mit der gegenwärtig größten sicherheitspolitischen Krise konfrontiert: Die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel sind ein Stresstest für die internationalen Beziehungen und den Multilateralismus. Die Aufnahme von Dialog und Verhandlungen ist dabei von größter Wichtigkeit.

Daher sind die gestrigen hochrangigen Gespräche zwischen der Republik Korea und der Demokratischen Volksrepublik Korea ein positives Zeichen.

Der Bedeutung der Abrüstung wurde erst kürzlich durch die Verleihung des Friedensnobelpreises an ICAN Rechnung getragen.

Gemeinsam mit anderen Staaten hat Österreich Verhandlungen über einen Nuklearwaffen-Verbotsvertrag eingeleitet. Sie wurden im Juli mit Annahme des Vertragstextes durch 122 Staaten erfolgreich abgeschlossen. 

Eine nuklearwaffenfreie Welt ist im Interesse aller Staaten. Daher hoffe ich, dass möglichst viele Staaten den Vertrag unterzeichnen werden.

Meine besondere Anerkennung gilt unseren Partnern in Zentral- und Lateinamerika, wo 15 Länder das Abkommen bereits unterzeichnet haben.

Uns ist bewusst, dass der Vertrag für sich allein keine Abrüstung bewirken wird. Aber in ähnlichen Situationen war ein völkerrechtliches Verbot oft der richtige erste Schritt, um ein Umdenken zu erreichen.

Weltweit sind mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht, so viele wie noch nie seit Ende des zweiten Weltkriegs. Effektive humanitäre Hilfe für Flüchtlinge und Binnenvertriebene vor Ort ist geboten. Sie ist zentrales Element einer breit angelegten Strategie zur Bewältigung der Flüchtlingskrise.

Österreich hat immer wieder bewiesen, dass es bereit ist, Menschen in Not zu helfen. 2015, dem Höhepunkt der Flüchtlings- und Migrationskrise, beantragten über 90.000 Menschen in Österreich Asyl.

Österreich wird auch 2018 seiner humanitären Verantwortung solidarisch nachkommen. Wir müssen unsere Kooperation mit Herkunfts- und Transitländern weiter stärken. Dabei bleibt die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen vordringlich.

Unser erstes und wichtigstes Ziel muss es aber bleiben, die menschenunwürdigen Bedingungen, wie sie in vielen Flüchtlingslagern in Nordafrika vorherrschen, so rasch wie möglich zu beenden.

Eine wesentliche Fluchtursache ist der Klimawandel. Er ist die globale Herausforderung unserer Zeit. Nationales und internationales Engagement sind gefordert, so rasch wie möglich.

International besteht vollstes Vertrauen in das multilaterale Rahmenwerk zur gemeinsamen Bekämpfung des Klimawandels. Wir haben es in der Hand, das Pariser Übereinkommen erfolgreich umzusetzen.

Als EU-Präsidentschaft hat Österreich bei der COP 24 in Polen besondere Verantwortung, das Pariser Arbeitsprogramm zum Abschluss zu bringen.

Österreichische Unternehmen sind zudem führende Anbieter erneuerbarer und umweltverträglicher Technologien. Sie exportieren österreichisches Know-How und Expertise in die ganze Welt.

Der UNO Amtssitz Wien hat durch die Präsenz wichtiger Organisationen eine internationale Schlüsselrolle, auch bei der Umsetzung der Agenda 2030.

Im Juni findet zum 50-jährigen Jubiläum der ersten UN-Weltraumkonferenz die Großkonferenz UNISPACE+50 statt.

Ich würde mich freuen, UN-Generalsekretär Guterres dieses Jahr in Wien begrüßen zu dürfen.

2018 bringt einige Meilensteine im Menschenrechtsbereich: So jährt sich zum 70. Mal die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die UNO-Generalversammlung. Sie war das erste umfassende und weltweit gültige Menschenrechtsdokument.

Nach den Gräueln des 2. Weltkriegs war sie wegweisend für den internationalen Menschenrechtsschutz.

Wir feiern auch das 25. Jubiläum der Weltkonferenz für Menschenrechte.

Österreich engagiert sich seit vielen Jahren aktiv für den Schutz der Menschenrechte und die Förderung des interkulturellen Dialogs.

Österreich wird daher im Herbst für einen Sitz im UNO-Menschenrechtsrat für die Periode 2019-2021 kandidieren. Das Motto unserer Kandidatur lautet „Building Bridges for Human Rights“. 

Wir wollen damit erneut Verantwortung im zentralen Menschenrechtsgremium der Vereinten Nationen übernehmen. Ich ersuche um die Unterstützung Ihrer Regierungen für diese wichtige Kandidatur.

Im Gedenkjahr 2018 gedenkt Österreich des Endes des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren und feiert den 100. Jahrestag der Ausrufung der Republik. Unser Land wird sich aber auch an den sogenannten „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland erinnern, und daran, dass Österreichinnen und Österreicher in der Zeit der Nazi-Diktatur sowohl Opfer als auch Täter waren.

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wird das Bewusstsein für Herausforderungen der Gegenwart schärfen.

Und nicht zuletzt wird Österreich in der zweiten Jahreshälfte zum dritten Mal den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernehmen.

Der Vorsitz kommt zu einem entscheidenden Zeitpunkt:
zum Abschluss der Brexit Verhandlungen und unmittelbar vor den EU Parlamentswahlen im Frühjahr 2019.

Vieles von dem, was die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten in den vergangenen 60 Jahren erreicht haben, kann als Erfolg gelten: ein gemeinsamer, grenzübergreifender Raum der Bildung und Kultur, der Forschung und der Lehre, der Wirtschaft und des sozialen Wohlstands, der Bürgerrechte und persönlicher Freiheiten.

Ich wünsche mir für 2018, dass wir die bedauerliche Entscheidung des Vereinigten Königreichs als Chance begreifen und eine Europäische Union schaffen, die die Grundrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger verteidigt und schützt.

Eine Europäische Union, die auch international für Menschenrechte, Demokratie, Solidarität, Rechtsstaatlichkeit und Klimaschutz einsteht.

Dazu gehören mutige Entscheidungen und Reformen.

In den vergangenen Monaten gab es dazu zahlreiche wichtige Vorschläge, allen voran von Präsident Juncker und Präsident Macron.

Ich hoffe, dass die Europäische Union das kommende Jahr dazu nutzen wird, diesen Reformprozess anzupacken. Österreich wird hier als zuverlässiger und berechenbarer Partner im Zentrum Europas sicherlich nicht zurückstehen.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen allen, Ihren Familien und den von Ihnen vertretenen Staaten ein erfolgreiches und friedvolles 2018!

Neujahrsempfang für das Diplomatische Corps 2018
Neujahrsempfang für das Diplomatische Corps 2018