Empfang Jewish Welcome Service

»Ihre Geschichten, die Geschichten ihrer Vorfahren, sind Teil der Geschichte Österreichs«

Bundespräsident Alexander Van der Bellen empfängt Holocaust-Überlebende und ihre Nachfahren, die seit vielen Jahren vom Jewish Welcome Service nach Österreich eingeladen werden.

Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen anlässlich des Empfangs des Jewish Welcome Service

25. April 2018, 16:00 Uhr

 

Exzellenzen!

Frau Botschafterin, Herr Botschafter!

Herr, IKG-Präsident Deutsch!

Sehr geehrte Frau Mag.a Susanne Trauneck, Generalsekretärin des Jewish Welcome Service!

Sehr geehrte Frau Mag.a Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich!

Sehr geehrter Herr Oberkantor Barzilai!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste!

 

Willkommen! Es ist mir eine große Freude, Sie heute hier in der Hofburg empfangen zu können.

Viele von Ihnen sind aus fernen Ländern angereist. Sie kommen in ein Land und in eine Stadt, aus der Sie selber, Ihre Vorfahren, oder Ihre Partnerin oder Ihr Partner, vertrieben wurden.

Wir alle kennen die Geschichte der vergangenen 100 Jahre. Wir wissen, dass der Antisemitismus in Österreich schon vor der Machtergreifung der Nazis unerträglich war und in der Ersten Republik großen Schaden angerichtet hat.

Mit dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, der sich im letzten Monat, im März, zum 80. Mal jährte, brachen alle Dämme.

Die Jüdinnen und Juden wurden schikaniert, entrechtet, verfolgt, und schließlich ermordet, wenn sie nicht rechtzeitig flüchten konnten.

Und - was mich immer wieder sehr betroffen macht: Es geschah ohne ausreichenden Widerstand der Zivilgesellschaft. Es haben nicht nur zu viele bei dem großen Verbrechen mitgemacht, es haben auch zu viele tatenlos zugesehen, oder weggeschaut.

Ich kann mir gut vorstellen, wie emotional für die meisten von Ihnen ein Besuch Österreichs sein muss.

Ich vermute, Sie alle hegen ambivalente Gefühle gegenüber Österreich.

Aus vielen Begegnungen weiß ich, dass viele der Überlebenden der NS-Verfolgung, die aus Österreich vertrieben wurden, mit Wehmut an ihre ehemalige Heimat denken.

Wahrscheinlich auch Sie. Zugleich ist Ihnen hier aber auch immenses Unrecht widerfahren.

 

Dennoch ist Ihre Verbindung mit Österreich stark geblieben. Sonst wären Sie heute wohl nicht hier. Trotz allem, was geschehen ist.

Wenn ich Sie nun heute hier begrüßen darf, drängt sich mir der Gedanke auf, was Sie alle und Ihre Familien wohl in Österreich zur Entwicklung beigetragen hätten, wäre die Geschichte anders verlaufen.

Ich sehe das Wien von 1900, ein Zentrum der intellektuellen und kulturellen Welt, undenkbar ohne die jüdischen Mitbürger damals.

Und ich sehe die Vertreibung von Menschen mit all ihren Fähigkeiten und Talenten nicht nur als humane Katastrophe, sondern auch als eine gesellschaftliche Katastrophe für ganz Österreich.

Viele Jahre hindurch hat sich das offizielle Österreich seiner Geschichte nicht ausreichend gestellt.

Erst im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfes 1986 und in den Jahren danach, begannen sich Positionen zu verändern.

 

Oft war es eine neue, unbelastete Generation, die sich mit den dunklen Kapiteln Österreichs Geschichte kritisch auseinandersetzte.

Dieses neue Bewusstsein ermöglichte es, dass Ende der 1980er Jahre der Jewish Welcome Service von Leon Zelman gegründet wurde.  Ich freue mich sehr, dass Frau Mag.a Trauneck, die Generalsekretärin des Jewish Welcome Service und ihr Team Sie, wie schon viele andere vor Ihnen, nach Wien eingeladen hat.

Mitte der 1990er Jahre entstanden zwei Einrichtungen in Wien, die sich in besonderer Weise Menschen widmen, die unter der NS-Herrschaft litten.

 

So bin ich froh, dass der Nationalfonds der Republik Österreich seit 1995 Überlebende der NS-Verfolgung unterstützt. Weiters werden Gedenkprojekte durch den Nationalfonds finanziert und auch Organisationen, die Überlebende betreuen und behandeln. Die Generalsekretärin des Nationalfonds, Frau Mag.a Hannah Lessing habe ich ja schon begrüßt.

Bereits 1994 wurde das Psychosoziale Zentrum ESRA von der Jüdischen Gemeinde und der Gemeinde Wien gemeinsam gegründet. Es ist ein Zentrum, das Überlebende der NS-Verfolgung medizinisch behandelt, betreut und unterstützt.

Ich begrüße den Geschäftsführer, Herrn Peter Schwarz, ganz herzlich.

 

Meine Damen und Herren!

Ich glaube, ganz eindeutig sagen zu können, dass ich Sie heute in einem anderen Österreich willkommen heißen kann, als es jenes Österreich war, aus dem Sie oder Ihre Vorfahren flüchten mussten.

Österreich ist sich seiner Geschichte und seiner Verantwortung bewusst. Es ist ein demokratisches Österreich mit einem funktionierenden Rechtsstaat, das sich an den Menschenrechten und der Menschenwürde orientiert.

Und es besteht ein breiter Konsens in Politik, Medien und Gesellschaft, sich jedem antisemitischen „Gedankengut“ vehement entgegenzustellen.

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ganz besonders freut es mich, dass es heute wieder sehr lebendige jüdische Gemeinden in Österreich gibt. Gemeinden mit Synagogen, Bethäusern, Schulen, Sportstätten wie dem Sportverein Hakoah, einem Elternheim und einigem mehr.

Ein besonders schönes Beispiel jüdischen Lebens in Wien ist der Chor „Vienna Jewish Boys“. Ein Chor, der oft zu den Höhepunkten von Gottesdiensten im Wiener Stadttempel zu hören ist.

Geleitet wird dieser Chor von Mag. Shmuel Barzilai, dem Oberkantor des Stadttempels. Ich möchte Ihnen ganz herzlich danken, dass Sie heute für uns singen.

Abschließend: Willkommen in der Hofburg, willkommen in Wien, willkommen in Österreich.

 

Österreich empfindet Sie, wo immer Sie auch leben, welche Staatsbürgerschaft Sie auch haben, als Teil dieses Landes!

Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind. Ich wünsche Ihnen noch schöne und interessante Tage und hoffe, dass Ihr Besuch Ihre Verbindung mit Österreich nachhaltig belebt und stärkt.

Empfang für ehemalige österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger - JEWISH WELCOME SERVICE 18. September 2019
Empfang für ehemalige österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger - JEWISH WELCOME SERVICE 18. September 2019

Fotos: Peter Lechner/HBF

Address by Federal President Alexander Van der Bellen at the Reception for the Jewish Welcome Service

Wednesday, 18 September 2019, 4.00 p.m.

 

Welcome Ladies and Gentlemen,

I am very pleased, to welcome you here today, at the Hofburg, the seat of the Federal Presidency.

This means a lot to me.

Perhaps you have Austrian citizenship, perhaps you visit Austria on a regular basis, perhaps you are living far away.

And regardless of how you feel about Austria today, and, in close relation to that, about your personal history and that of your family, I would like to tell you, you are part of Austria.

Antisemitism didn’t appear with the National Socialists. Antisemitism was widespread long before the Nazis seized power in Austria.

 

This caused a great deal of suffering to many Jewish families, even before 1938.

After the Nazis took over power, antisemitism resulted in persecution, forced displacement, and eventually, in the attempted extermination of European Jewry, the Shoah.

In light of our gruesome history, I am always glad to hear about those who maintained decent behaviour throughout.

Those who did not follow the masses, but instead, kept on showing Jews their friendship and respect, regardless of the repercussions they had to expect.

 

Even though far too few people behaved that way, we must mention them and honour them, as they remained human through inhuman times.

In a few minutes, David Lazarus will tell us about a particularly touching story in that respect.

 

It took Austrian society and the official government many years to understand and also acknowledge what was done to you and to thousands and thousands of Jews under the Nazi regime.

After Austria was liberated and the Republic was restored, many people, including politicians, suppressed and concealed much of the unpleasant truth.

Austria’s relationship to its own history did not change significantly until the 1980s.

Younger generations were less reluctant to take a critical look at Austria’s past, and asked their parents and grandparents uncomfortable questions.

As renewed awareness emerged among society, in the early 1990s, Austria also officially acknowledged these infamous times of its history – publicly and unequivocally.

Very slowly, the Republic of Austria took responsibility for the people who had been expelled from the country.

 

The Jewish Welcome Service was founded in 1980 by Leon Zelman and the City of Vienna.

It is wonderful that the Jewish Welcome Service was able to invite you to Austria, as it did previously for thousands of Jews who had been expelled from the country.

In 1994, the Jewish Community and the City of Vienna established the ESRA Psycho-social Centre.

Many of you are familiar with this organisation, which assists and treats not only survivors of the Nazi regime in Austria but also supports people who were expelled from the country in their claims against the Austrian state.

In 1995, the National Fund of the Republic of Austria was established to support survivors of the Nazi regime through difficult life situations.

These three organisations as well as any other support mechanism for survivors of Nazi persecution are not only valuable to you, as they give you a chance to visit Austria as a guest or receive support and assistance, but also for us, who live here, for today’s Austria, these organisations are immensely significant.

 

It matters to us that the Republic of Austria and Austria’s society not only understand and acknowledge your fate, your pain and suffering, but also take responsibility and take tangible action in your favour. In this respect, I particularly welcome the current efforts to amend the Austrian Citizenship Act accordingly before the upcoming elections.

I am glad to see that there is a wide consensus in favour of letting all Jews expelled by the Nazi regime as well as their descendants officially become Austrian citizens via a simplified procedure.

Many, but unfortunately not all of you have already had this opportunity. I am confident that the gaps in current legislation will soon be filled.

I will not conclude without wishing Ms Yulica MARIN, Mr Max JÄGER and Mr Henry WEIL a happy birthday!

I find it a beautiful coincidence that you will be celebrating your birthday in Vienna over the next few days. I wish you all the best, and especially, good health!

I hope each and every one of you enjoys this stay in Vienna. Thank you for visiting us here at the Hofburg. Thank you for visiting Austria.

I hope that in the future you have further opportunities to visit your Austria and also show it to your families!

And, given the upcoming New Year celebrations, I would like to conclude by wishing you and your families a happy, healthy and sweet new year! Shanah tova u’metukah!

Thank you.