Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Gespräch mit Manfred Perterer für die Salzburger Nachrichten.

»Der Ausschaltknopf ist eine wirksame Waffe«

Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Gespräch mit den Salzburger Nachrichten.

Vor der Festspieleröffnung spricht Bundespräsident Alexander Van der Bellen im großen SN-Interview über seine Erfahrungen mit Wladimir Putin, über Neuwahlen und seine persönlichen Pläne zum Energiesparen.

Manfred Perterer: Noch vor vier Jahren haben Sie mit dem russischen Staatspräsidenten den „Sotschi-Dialog“ ins Leben gerufen. Dabei geht es um verstärkte Zusammenarbeit zwischen Österreich und Russland. Hätten da nach Krim, Syrien, Georgien und Donbass nicht längst alle Alarmglocken bei Ihnen läuten müssen?

Van der Bellen: Ich habe die Republik in meiner Rolle als Bundespräsident nach außen vertreten. Ins Leben gerufen hat den Dialog die damalige Bundesregierung gemeinsam mit der Wirtschaftskammer, um eine Gesprächsplattform aufrechtzuerhalten. Aber ja, politisch haben wir uns täuschen lassen, nicht nur in Österreich.

Sie haben in Sotschi ein Jahr später, also 2019, gesagt, es gebe „keine grundsätzliche Vertrauenskrise zwischen Russland und Europa“. Und:„Ich denke, wir wissen, woran wir wechselseitig sind.“ Ist Ihnen diese Fehleinschätzung heute unangenehm?

Hätten wir es besser wissen können? Vielleicht. Die Frage, ob Putin schon damals diesen Krieg im Sinne hatte, kann nur er beantworten. Heute sehen wir jedenfalls, woran wir sind, und müssen klug und angemessen handeln. Europa darf sich nicht auseinanderdividieren lassen und muss gemeinsame Stärke und Entschlossenheit zeigen.

Wie war Putin im direkten Gespräch? Fühlen Sie sich von ihm getäuscht?

Die österreichische Diplomatie genießt einen hervorragenden internationalen Ruf und bei Staatsbesuchen läuft alles dementsprechend korrekt und nach Protokoll ab. Putin verhielt sich höflich und gastfreundlich. Wie er sich jetzt verhält, deutete sich in keiner Weise an.

Russland zielt jetzt offenbar nicht nur auf die Zerstörung der Ukraine ab, sondern auf die der westlichen, freien, demokratischen Lebensweise. Ist dieser Feldzug aufhaltbar?

Putin will unsere freie, westliche Lebensweise zerstören, weil er sie fürchtet. Hätten die Bürgerinnen und Bürger der Russischen Föderation die Freiheiten, die wir haben, könnte Putin diesen Angriffskrieg nicht führen. Das darf man nicht vergessen. Wie lange dieser Krieg mit all seinen Folgen dauern wird, weiß derzeit niemand. Solidarität ist unsere Stärke. Putin mag es egal sein, wie sehr die Ukraine, aber auch die Russinnen und Russen unter dem Krieg leiden. In der Europäischen Union kümmern wir uns umeinander und um unsere Nachbarn. Im Kleinen wie im Großen.

Es gibt erste Zerfallserscheinungen der Solidarität mit der Ukraine. Die Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge geht zurück. Die Stimmen, man solle die Sanktionen zurückfahren, werden lauter. Wie sehen Sie das?

Jetzt klein beigeben, den Überfall de facto ignorieren? Das würde Putin in seiner Verachtung des Westens nur bestärken. Wer das befürwortet, rennt offenen Auges in die nächste Erpressung durch Putin. Vor allem Parteien aus dem rechten Spektrum unterliegen dieser Kurzsichtigkeit.

Droht die Spaltung, am Ende gar der Zerfall der EU?

Der russische Präsident versucht, Zwietracht zu säen. Das ist offensichtlich. Das willkürliche Auf- und Zudrehen des Gashahns soll uns Angst machen. Die nachvollziehbaren Ängste in der Bevölkerung sollen genutzt werden, die europäische Geschlossenheit aufzubrechen und einzelne Staaten gefügig zu machen. Dabei zählt Putin auf die Assistenz der Populisten Europas.

Ich glaube, das ist eine ernsthafte Gefahr. Andererseits bin ich überzeugt, dass Europa stark genug ist, mit diesem Angriff umzugehen. Die Konstruktionsidee der EU ist ja gerade die Zusammenarbeit, die Solidarität und die Kooperation, um den Frieden in Europa zu ermöglichen. Wir sind geradezu geschaffen, um mit einer Situation wie dieser fertigzuwerden.

Können die Kriegs- und die Energiekrise von den EU-Staaten nationalstaatlich gemeistert werden oder geht das nur im Gleichschritt?

Sie werden von meiner Antwort nicht überrascht sein: Natürlich geht’s nur gemeinsam. Allein die Komplexität der Gasversorgung erfordert transnationale Kooperation auf europäischer Ebene. Auch die Stromversorgung ist in Alleingängen nicht zu sichern.

Gilt dasselbe auch im Inneren des Landes? Bräuchte es da nicht mehr Zusammenhalt, auch über die Parteigrenzen hinweg? Also einen europäischen, aber auch nationalen Schulterschluss?

Jetzt geht’s drum, zu arbeiten. Alle sind aufgefordert, ihren Beitrag zu leisten. Die Bundesregierung sowieso. Ich unterstütze zum Beispiel den Vorschlag des Wiener Bürgermeisters Ludwig, einen Antiteuerungsgipfel zu machen. Die Größe und Komplexität der Situation benötigt eine gesamtstaatliche Anstrengung, uns auf den Herbst vorzubereiten. Sie und ich können auch sofort etwas tun, nämlich darüber nachdenken, wie wir unseren Energieverbrauch senken. Die Opposition kann sich konstruktiv einbringen, die Sozialpartner, die Länder, die Städte, die Gemeinden. Das ist eine Aufgabe von uns allen.

Zeigt der Krieg Putins gegen die Ukraine nicht auf, dass Neutralität nicht vor Angriffen schützt? Brauchen wir da ein Umdenken in Österreich?

Umdenken sollten wir, wenn es darum geht, was wir für unsere Neutralität tun. Warum lassen wir es zu, dass unsere Diplomatie chronisch unterfinanziert ist? Wäre das nicht eine Riesenchance für unser Österreich, mit vielen bestens qualifizierten Diplomatinnen und Diplomaten etwas in der Welt zu erreichen? Und wie gut kümmern wir uns um unser Bundesheer? Bei der Finanzierung des Heeres läuft etwas falsch – und zwar massiv. Den dramatischen Investitionsrückstau im Heer prangere ich seit Amtsantritt an.

Solidarität ist wohl auch notwendig, um die Teuerung zu meistern. Müssen die Wohlhabenderen zugunsten der ärmeren Menschen zurückstehen?

Das Wort „zurückstehen“ gefällt mir nicht. Ich lade uns ein, das anders zu sehen: Diejenigen, die mehr tragen können, sollen auch mehr tragen. Es ist eine Tatsache, dass die Teuerung im Lebensmittel- und Energiebereich Menschen, die von Armut bedroht sind, schneller und härter trifft.

Spüren Sie persönlich die steigenden Preise? Wenn ja, wie und wo?

Zum Beispiel bei unserer Strom- und Gasrechnung. Die war schon im April rund 50 Prozent höher als im letzten Jahr. Die höheren Energiepreise bewirken natürlich eine Verteuerung vieler anderer Dinge des täglichen Bedarfs, das ist nicht zu übersehen.

Was tun Sie persönlich, um Energie zu sparen?

Diese Frage beantworte ich oft, früher im Zusammenhang mit der Klimakrise, jetzt auch wegen der Energiekrise: Mit dem Zug statt mit dem Auto fahren, wenn Termine und Örtlichkeiten es erlauben. Den Fuhrpark der Präsidentschaftskanzlei schrittweise auf Elektrofahrzeuge umstellen. Nicht vergessen, das Licht im Büro und in der Wohnung abzudrehen. Das tue ich natürlich alles nach wie vor. Ich weiß schon, dass das nach Kleinigkeiten klingt, aber ich bin überzeugt: Der Ausschaltknopf ist eine wirksame Waffe im Kampf gegen die Klimakatastrophe und jetzt auch die Energiekrise.

Das Vertrauen in die Politik insgesamt, vor allem aber in die Regierung ist laut Umfragen auf einem neuen Tiefpunkt. Würden rasche Neuwahlen irgendjemandem helfen?

Schauen Sie nach Italien. Ich glaube nicht, dass die italienischen Bürgerinnen und Bürger jetzt mit einem besseren Gefühl in den Herbst gehen, wohl wissend, was alles auf uns alle zukommen kann. So eine Manövrierunfähigkeit will ich nicht für Österreich. Meine Aufgabe ist es, für Stabilität zu sorgen. Die Aufgabe der Regierung ist es, rasch eine ausreichende Vorbereitung auf den Herbst sicherzustellen. Das erwarte ich auch von ihr.

Der Bundespräsident wird alle sechs Jahre gewählt. Manche meinen, eine zehnjährige Periode ohne die Möglichkeit einer Wiederwahl wäre besser. Wie sehen Sie das?

Ein interessanter Vorschlag. Rechnungshof und Europäische Zentralbank folgen diesem Modell. Reden wir über Für und Wider nach dem 9. Oktober.

Es gibt bei der Präsidentschaftswahl im Gegensatz zu anderen Wahlgängen keine Rückerstattung der Wahlkampfkosten. Das zwingt Sie zum Spendensammeln. Schafft das nicht Abhängigkeiten?

Ich bin Bundespräsident und damit allen Österreicherinnen und Österreichern verpflichtet. Selbstverständlich übe ich mein Amt überparteilich und unabhängig aus. Ich habe auch keine über meine Kandidatur hinausgehenden Karrierepläne, auf die ich Rücksicht nehmen müsste. Das ist ein Vorteil meines Alters, neben der Erfahrung und Routine im Amt. Es freut mich, dass meine Kandidatur – so wie schon 2016 – auch von Hunderten Spenderinnen und Spendern unterstützt wird.

In sozialen Netzwerken wird kritisiert, dass Sie bei Reden als Bundespräsident durchaus Wahlkampftöne anschlügen. Lassen sich die zwei Rollen als Präsident und Kandidat überhaupt trennen?

Natürlich achte ich sorgsam auf die Würde des Amtes und kann mit gutem Gewissen sagen, dass ich penibel mit dieser Frage umgehe. In Reden spreche ich aus, was ich mir denke und überlegt habe. Wenn das manche als Wahlkampf abtun: Versuchen sie damit, dem Inhalt des Gesagten auszuweichen?