Interview mit der Tiroler Tageszeitung

»Ich persönlich hätte keinen Grund gesehen, dem UN-Migrationspakt nicht beizutreten«

Interview von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit der Tiroler Tageszeitung.

Herr Bundespräsident, haben Sie in den vergangenen Tagen auch an das Jahr 2003 gedacht, an die Koalitionsverhandlungen der Grünen unter ihrer Federführung mit der ÖVP des Wolfgang Schüssel. Wären Sie auch gerne Minister geworden?

Alexander Van der Bellen: Mittlerweile gelobe ich lieber Minister an. Damals haben wir ernsthaft mit der ÖVP verhandelt. Aber es hat eben nicht geklappt. Doch diese Verhandlungen sind schon lange her, die Erinnerung daran spielte also in den vergangenen Wochen und Monaten  wohl für niemanden eine Rolle. Es wurde mir zuletzt verschiedentlich angedichtet, dass die jetzige ÖVP/Grüne-Bundesregierung die Erfüllung meines Wunsches  sei. Da muss ich alle enttäuschen.   Meine Farben sind rot-weiß-rot. Und ich habe bekanntlich in den knapp drei Jahren in der Hofburg die unterschiedlichsten Regierungen angelobt.

Sorgte das Krisenjahr 2019 nun ein für allemal für ein Ende der Debatte über die Sinnhaftigkeit des Amtes des Bundespräsidenten?

Van der Bellen: Die Formulierung „ein für allemal“ ist vielleicht zu gewagt. Aber ich denke, dass viele Menschen,verstanden haben, dass dieses Amt in der österreichischen Variante der checks and balances einen Sinn hat. 2019 trat mit dem Bekanntwerden des Ibiza-Videos und den bekannten Folgen – bis hin zum Misstrauensvotum gegen die gesamte Bundesregierung – eine  unvorhersehbare Situation auf. Es ist wohl eine Ironie der Geschichte, dass sich ausgerechnet die 1929er-Verfassung für das Krisenmanagement wunderbar bewährt hat.

In der 1929er-Verfassung wurde das Amt des Staatsoberhauptes erst mit so weitreichenden Kompetenzen gegenüber der Bundesregierung ausgestattet…

Van der Bellen: … so dass Kritiker hier einen Geruch von autoritären Zügen wahrgenommen haben. Aber auch namhafte Kritiker können einmal irren.

Würden Sie mir zustimmen, dass Sie auch ein Gewinner des Krisenjahres 2019 sind?

Van der Bellen: Nicht ich persönlich, wohl aber das Amt des Bundespräsidenten.

Ich frage deshalb, weil Sie in weiten Teilen der Bevölkerung, vor allem auch bei jene Bürgern, die Sie beder Hofburg-Wahl nicht gewählt haben, an Popularität gewonnen haben.

Van der Bellen: Wenn ich in den vergangen Monaten von Bürgern immer wieder mal gehört habe, dass sie mich zwar nicht gewählt haben, aber jetzt froh sind, dass ich Bundespräsident bin, dann freut mich das sehr.

Was bedeutet diese Erfahrung des Jahres 2019 für Ihren Blick in die Zukunft?

Van der Bellen: Ich ahne bereits, worauf Sie mit Ihrer Fragestellung hinauswollen.

Dann kann ich es ja direkt formulieren: Denken Sie daran, für eine weitere Legislaturperiode zu kandidieren?

Van der Bellen: Ich würde lügen, wenn ich Ihnen sage, dass  ich noch nie darüber nachgedacht hätte. Jetzt ist aber, inmitten der Amtsperiode nicht die Zeit, darüber Auskunft zu geben. Ich werde dies aber schon rechtzeitig kundtun. Um es klarzumachen: Das ist weder eine Zu- noch eine Absage für ein Wiederkandidatur.

Kommen wir zur neuen Bundesregierung von ÖVP und Grünen. Wurden Sie von Obmann Sebastian Kurz vorzeitig und umfassend über seine Ministerliste informiert?

Van der Bellen: Ich sah, anders als damals bei der Bildung der ÖVP/FPÖ-Regierung, im Vorhinein keinen Grund, Einwände bei einer möglichen Ministerauswahl zu formulieren.

Hätten Sie sich erwartet, mehr eingebunden zu werden?

Van der Bellen: Die Regierungsbildung lag in erster Linie in der Verantwortung der beiden Parteichefs Sebastian Kurz und Werner Kogler. In dieser  Phase hat der Bundespräsident  eine andere Rolle. Ich achte zB. darauf dass die Machtverteilung bei den Ministerien stimmt. So will ich etwa nicht, dass Innen- und Justizministerium in einer Hand sind.

Österreich hat mit dem früheren Flüchtlingskind Alma Zadic nunmehr eine Justizministerin. Auch Sie waren ein Flüchtlingskind – und wurden zum Staatsoberhaupt gewählt. Schmerzt es Sie so betrachtet dann nicht, wenn die aktuelle Bundesregierung dem UN-Migrationspakt nicht beitreten will und sich auch gegen einen solidarischen Verteilungsschlüssel von Flüchtlingen innerhalb der EU ausspricht?

Van der Bellen: Ich persönlich hätte keinen Grund gesehen, dem UN-Migrationspakt nicht beizutreten. Auch deshalb, weil Österreich diesen globalen Pakt auf höchster Beamtenebene mitverhandelt hat. Aber das ist vergossene Milch. Aber wenn sie schon Frau Zadic und mich in diesem Zusammenhang erwähnt haben. Früher hat man dies über die USA gesagt, jetzt kann man es auch über Österreich sagen: Wir sind ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten geworden. Meine Familie hat eine 300jährige Migrationsgeschichte hinter sich. Und die Österreicherinnen und Österreicher wählten mich zum Bundespräsidenten. Berührend fand ich in meinem Fall die Worte des Kaunertaler Bürgermeisters, als er zu mir sagte: „Du bisch als Flüchtlingskind käma, und iatz bisch uana vo ins.“ Und ich denke, Frau Zadic wird es einmal ähnlich ergehen.

Sie haben im Zusammenhang mit der im Regierungsprogramm erwähnten Präventivhaft erklärt, dass Sie bei Menschenrechts- und Grundrechtsfragen sehr aufmerksam sein werden. Haben Sie sich schon mit Ihren Juristen im Hause besprochen: Ist solch eine geplante  Präventivhaft mit der bestehenden Verfassung in Einklang zu bringen?

Van der Bellen: Ohne selbst ein Jurist zu sein, ist mein Eindruck jener, dass eine Präventivhaft mit der bestehenden Verfassung wohl kaum möglich ist. Wir kennen in unserem Rechtssystem eine Strafhaft, eine Untersuchungshaft und eine Schubhaft. Um behördliche Willkür auszuschließen, gibt es eben keine Möglichkeit, jemand in Haft zu nehmen, nur unter der Annahme, er könnte eventuell eine Straftat begehen.

Thomas Starlinger war vor seiner Berufung zum Verteidigungsminister im Kabinett Brigitte Bierlein Ihr Adjutant. Ist er nun wieder in der Präsidentschaftskanzlei im Amt?

Van der Bellen: Ja, er hat bereits wieder hier im Haus seinen Dienst angetreten.

Als Minister hat Starlinger den Zusand des Bundesheeres drastisch geschildert. Hat die neue Bundesregierung Ihrer Meinung nach adäquat darauf reagiert?

Van der Bellen: Das Regierungsprogramm hält sich generell mit konkreten Zahlen zurück. Aber ich denke Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) hat alle Chancen, für das Bundesheer eine gute Ministerin zu werden. Beim Bundesheer wurde in den Vorgängerregierungen in den vergangenen Jahrzehnten kaum Investitionen vorgenommen. Nimmt man das Bundesheer ernst, braucht es hier eine Korrektur.

Wen haben Sie heuer zum Opernball eingeladen?

Van der Bellen: Es gibt für heuer meinerseits keine Einladung.